Martha Argerich gilt als Genie und bedeutendste lebende Pianistin

Martha Argerich gilt als Genie und bedeutendste lebende Pianistin

Die gebürtige Argentinierin Martha Argerich gilt unumstritten als die bedeutendste lebende Pianistin. Ihre stupende Virtuosität, der rhythmische Schwung und die Natürlichkeit ihres Spiels ziehen seit über sechs Jahrzehnten Musikfreunde in aller Welt in ihren Bann. Am 5. Juni wird sie 80 Jahre alt. Näher kommt man der letzten Sphinx des Musikbetriebs mit ihrem silbergrauen, schulterlangen Haarwohl nur, wenn man sie hört. Bis heute hat sie sich ihre Vitalität, ihre „fliegenden Hände“ bewahrt, aber auch den Eigensinn. Mit virtuosem Furor fegt sie durch die Werke von Chopin, Liszt oder Prokofjew, nimmt sich jede Freiheit und schafft dabei Musik, die keine Herkunft mehr zu kennen scheint, nur ihr Spiel.

Ihr Karriereweg war allerdings keineswegs geradlinig, aber er ging zügig immer steil nach oben. Bereits mit fünf Jahren kam sie zu Vincenzo Scaramuzza. Der Klavierpädagoge war im Argentinien der Nac­hkriegszeit eine lebende Legende, neben Argerich bildete er auch Bruno Leo­nardo Gelber aus. Ihr erstes Konzert mit Orchester gab sie bereits mit Sieben, es geriet zum Triumph.

Dann lernte sie Friedrich Gulda kennen, für dessen modernes und unsentimentales Spiel sie sich sofort begeisterte. Als er 1954 zu Konzerten nach Argentinien kam, spielte sie ihm vor: Bachs „Italienisches Konzert“ und Schubert. Gulda war hingerissen. Er bot sogleich an, sie in Wien zu unterrichten. „Eine Wilde, eine Verrückte, nicht leicht zu behandeln und immer ein Risiko-Faktor“. Friedrich Gulda sagte das über Martha Argerich. Ihr Agent meinte, Argerich habe alles dafür getan, ihre Karriere zu ruinieren, aber es sei ihr nie gelungen. Und Arturo Benedetti Michelangeli klagte einst, sie sehe den Ton nicht als gottgegeben an.

Argerich wurde in jener Zeit allerdings von tiefen Selbstzweifeln gequält und war auf der Suche nach einem Menschen, der sie wieder für die Musik motivierte. Sie fand ihn in Stefan Aske­nase. Er sollte sie auf den berühmten Chopin-Wettbewerb in Warschau vorbereiten.1965 trat sie an, spiel­te – und siegte. Das Publikum war hingerissen wie von ihrem Klavierspiel. Die Weltkarrie­re der Argerich hatte begonnen. 1966 gab sie ihr Debüt in New York, 1967 in Paris, und 1970 absolvierte sie ihre erste Japan-Tournee. Die Kritiker rühmten vor allem ihr gleichermaßen kraftvolles wie zartes Chopin-Spiel, insbesondere mit seinem ersten Klavierkonzert feierte sie große Erfolge, und auch ihre Darstellung von Schumanns romantischer Zerrissenheit begeisterte.

Arge­rich ist unberechenbar, und dies auch für die Veranstalter, denn ebenso wie seinerzeit der Dirigent Carlos Kleiber unterschreibt sie keine Verträge. Des­halb herrscht vor ihren Konzerten oft eine bange Stimmung: Kommt sie, oder sagt sie ab? Sie möchte nur auftreten, wenn sie wirk­lich inspiriert und motiviert ist.

1981 trifft sie die Entscheidung, nicht mehr solistisch zu konzertieren, da sie sich alleine auf der Bühne „wie ein Insekt unter der Lampe“ fühle. Seitdem spielt sie nahezu ausschließlich Kammermusik und gelegentlich Orchesterkonzerte.

Wenn man beginnt Routine zu haben, dann imitiert man sich selbst. Das ist das Schlimmste. Das wird mir nie passieren.

Martha Argerich

Unter ihren Musizierpartnern hat ein Künstler einen besonderen Stellenwert: Gidon Kremer. Pianistischer Wirbelsturm und Geigenphilosoph, wie sollte das zusammen gehen? Es funktionierte. Trotz unterschiedlicher Temperamente, beide verbindet die Suche nach den musikalischen Zwischentönen und den Aus­drucksextremen jenseits des Schönklangs. Ihre Einspielungen der Violinsonaten von Prokofjew und Bartók bilden in ihrem Facetten­reichtum einen eigenen Kosmos.

Martha Argerich war dreimal verheiratet. Zuerst mit dem Dirigenten und Komponisten Robert Chen, mit dem sie eine Tochter, die Bratschistin Lyda Chen-Argerich, hat. Von 1969 bis 1973 war sie mit dem Schweizer Dirigenten Charles Dutoit verheiratet und bekam ihre zweite Tochter Annie Dutoit. Aus einer kurzen Ehe mit dem US-Pianisten und Dirigenten Stephen Kovacevich entstammt ihre dritte Tochter Stephanie.

Drei Festivals hat Argerich inzwischen ins Leben gerufen, in Lugano, Bep­pu (Japan) und Buenos Aires. Dort musiziert sie im erweiterten Fa­mi­lienkreis, zu dem ihre Ex-Gatten respektive Liebhaber gehören wie der Dirigent Charles Dutoit, die Pianis­ten Nelson Freire, Stephen Kovacevich und Ale­xandre Rabinovitsch, aber auch hochtalentierte Nachwuchsmusiker wie Renaud und Gautier Capuçon, die Pianistin Kha­tia Buniatishvili und der Geiger Géza Hosszu-Legocky. Werke von Beet­hoven, Brahms und Schumann werden dort ebenso gespielt wie Raritä­ten von Villa-Lobos, Gershwin und Schnittke, und beinahe jeden Abend sitzt die pianistische Übermutter selbst am Flügel.

Besonders treue Argerich-Fans sind die Japaner. Ein Tokioter Rennstallbesitzer benannte gar einen seiner Vollblüter nach der Pianistin. „Mittlerweile ist er alt und läuft keine Rennen mehr“, erzählt Argerich, „während ich noch immer im Geschirr bin.“

Aktuell wird Martha Argerich in diesem Monat live zu erleben sein. Nach einer coronabedingten Absage 2020 soll es in diesem Jahr das Martha Argerich Festival der Symphoniker Hamburg geben. Auf dem Programm stehen zwölf Konzerte vom 19. bis 30. Juni in der Hamburger Laeiszhalle. An elf Konzerten ist die argentinisch-schweizerische Starpianistin selbst beteiligt.

Headerbild: www.unsplash.com

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