Argerichs Progetto zum letzten Mal in Lugano

Argerichs Progetto zum letzten Mal in Lugano

Seit 2002 hat Martha Argerichs Progetto beim Lugano Festival bemerkenswerte Künstler für herausragende Orchester- und Kammermusik zusammen gebracht. Und im Herbst erschien jeweils das musikalische Ergebnis dann auf CD. Jahr für Jahr. Jetzt soll damit Schluss sein, angeblich aus finanziellen Gründen. 2016 war die letzte Zusammenkunft. Es waren immer drei Wochen, in der die gebürtige Argentinierin Martha Argerich junge und alte Freunde eingeladen hatte, mit ihr zu spielen. So auch im Jahr 2016. Es war ein Festival, in dem Martha Argerich, die „Löwin am Klavier“ stets freie Hand hatte ihr Programm auszuloten und zu bestimmen. Ein festes Motto gab es nie. Das Anliegen von La Martha, wie ihre Freunde sie ehrfurchtsvoll rufen, war es mit alten und jungen Freunden das zu spielen, wozu man Lust hatte. Das implizierte eine gute Mischung von Bekanntem und Neuem. Das Repertoire in Lugano hatte immer auch Überraschendes zu bieten. Auf den CDs des Abschlussjahres gibt es also Bekanntes, z.B. Ravels Klavierkonzert mit dem hiesigen Orchester. Ein Werk, das Martha Argerich gern und häufig spielt. Ein anderer Pfeiler des „Progetto Martha Argerich“, wie sie es selber nannte, waren auch immer vierhändige Werke oder Stücke für zwei Klaviere. Die Sonate von Mozart für 2 Klaviere (KV 448) gehört zu den Kompositionen, die Argerich oft spielt. Mal mit dem langjährigen Freund Daniel Barenboim, mal mit ihrer ehemaligen Schülerin und inzwischen verlässlichen Klavierpartnerin Lilya  Zilberstein. In der vorliegenden Aufnahme ist Martha Argerich mit dem amerikanisch-armenischen Pianisten Sergei Babayan zu hören.
Eher unbekannt ist Busonis Violinkonzert. Der Komponist feierte im vergangenen Jahr seinen 150. Geburtstag. Als Solist präsentierte sich Renaud Capucon, den man schon als Stammgast der Konzertreihe bezeichnen kann. Das gesamte Programm von 2016 ist im positiven Sinn unausgewogen. Das sorgt für viel Abwechslung. Die Besetzung ist mal groß und mal klein. Und auch, welche Überraschung, ein Solo-Werk ist zu hören: Ravels „Gaspard de la nuit“. Eine Seltenheit, denn eigentlich tritt Martha Argerich seit Jahren nicht mehr allein auf. Kenner wissen, die Argerich wird oft von Lampenfieber heimgesucht. Doch diesmal ist ihr Solo-Auftritt perfekt. Das ist sicher auch dem Umstand geschuldet weil ihre Tochter mit auf der Bühne war. Sie las jene Gedichte vor, die Ravel zu dieser Suite inspiriert hatten. Zerbrechlich schön ist ihr Anschlag. Der musikalische Output ist hoch-energetisch und brillant.

Alte und Neue Musik waren stets im Repertoire des Festivals vorgesehen. 2016 war es Bachs c-Moll-Violinsonate neben dem Werk des Bandoneon-Spielers Marcelo Nisinman, der seinen Tango für Martha Argerich spielte.

Sucht man nach weiteren Höhepunkten des Albums, so führt kein Weg an der Chorfantasie von Beethoven vorbei. Mit ganz großer Besetzung versteht sich. Orchester, Chor und Martha Argerich am Klavier ergeben Klassik vom Allerfeinsten. Vielleicht war dieser Part auch eine Art Geschenk an sich selbst, denn 2016 feierte die Pianistin ihren 75. Geburtstag. Die regelmäßig erscheinenden CDs vom Lugano-Festival waren stets ein Garant dafür, Werke neu zu entdecken. Wehmut und ein Hauch von Abschied liegt zum Beispiel in Brahms‘ Horntrio, das selten so zielgerichtet daherkam wie in der Aufnahme vom Lugano Festival 2016. Was bleibt? Das letzte Festival in Lugano, der letzte Mitschnitt. Einen Jahrgang 2017 wird es nicht mehr geben. Wie schade! Da schwingt eine große Portion Wehmut mit.

Martha Argerich and Friends: „Live from Lugano 2016“, erschienen bei Warner Classics (Box mit 3 CDs)

Werke von Bach, Busoni, Ravel, Mozart, Beethoven, Brahms. Mit Martha Argerich, Renaud Capucon, Sergei Babayan, Sergio Tiempo, Karin Lechner, Nicholas Angelich, David Guerrier, Tedi Papavrami, Stephen Kovacevich, Coro della Radiotelevisione della Svizzera Italiana, Ensemble ReEncuentros, Orchestra della Svizzera Italiana u.a.

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