„Wer hat Angst vor der Jazz-Polizei?“ Julian Maier-Hauff im Interview

„Wer hat Angst vor der Jazz-Polizei?“ Julian Maier-Hauff im Interview

Über die neue EP „Not Yet Begun“ von Julian Maier-Hauff haben wir dieser Tage schon ausführlich berichtet. Intelligent und mit viel Sachverstand verbindet der studierte Jazztrompeter Elektrosounds mit klassischen Jazz-Einflüssen, erweitert die Genre-Grenzen und begeistert das Publikum. Und das vor allem live.

Nachdem wir die EP sowie die zahlreichen Streams auf Soundcloud durchgehört haben war schnell klar: Den Mann brauchen wir zum Interview. Gesagt getan. Und wie es sich für einen ordentlichen Jazzer gehört, zu einer recht unorthodoxen Zeit. Wir sprachen über die vielen Parallelen zwischen Jazz und Elektro, die Comfort-Zone des eigenen Studios, „Jazzopas“ und „Technoheads“.

FJulian, Du bist dieser Tage viel unterwegs. Man liest und hört viel von Dir. Wo kommst Du gerade her und welcher Auftritt steht als nächstes an?

AIch sitze gerade am Küchentisch meiner WG, es ist 4 Uhr morgens und ich komme gerade von einem lokalen Underground-Radio in Freiburg, wo ich ein Live-Set zum Besten gegeben habe – zumindest bis ein Anwohner den Bass ein bisschen weniger gefeiert hat als wir (lacht). Als nächstes steht eine Veranstaltung – ebenfalls in Freiburg –  an, die ich zusammen mit einem lokalen Club verwirkliche. In unserem Konzept geht es darum, einen fließenden musikalischen Übergang von einer Live-Band zum Techno-Set zu bekommen. Zuerst spielt eine Band und ich übernehme „halb elektronisch“, spiele danach sechs Stunden bis 5 Uhr. Auf dem anderen Floor im Club beginnt nach der Band ein House/Funk/Hip-Hop-DJ, der dann peu à peu von einem Techno-DJ abgelöst wird. Die Veranstaltung gibt es einmal im Monat. Wer am ersten Februar-Wochenende 2016 in Freiburg ist, ist herzlich eingeladen, sich durchs Ruefetto zu schwingen. Kleiner Tipp am Rande: Es ist meine inoffizielle EP-Release-Party!

FJazzlegende Paul Kuhn war ja auch immer lange wach, wenngleich auch meist an der Bar! Aber wenn wir schon von Live-Sets bis in die frühen Morgenstunden sprechen: Was magst Du lieber? Die Zeit im Studio – oder das Auftreten, die unmittelbare Reaktion der feiernden Menschen auf Deine Musik?

ADefinitiv Zweiteres. Für mich liegt die größte Kunst darin, die richtige Musik für den richtigen Moment zu kreieren. Das haben zu viele – Gottseidank nicht alle – Musiker verlernt, wenn sie als DJ mit ihren am Reisbrett zusammengeschusterten DJ-Sets, oder als Band mit ihren festgeschriebenen Setlists durch die Lande ziehen und den Leuten ihr „Konzept“ überstülpen. Ich möchte im Moment spüren, wie weit ich musikalisch gehen kann, wie viel Vertrauen vom Publikum da ist, um sie Stück für Stück in tieferes Wasser zu locken – um ihnen dann etwas Neues zu zeigen. Dieses Gefühl entsteht für mich vor allem live. Und dann fange ich an zu „spielen“. Zu spielen bedeutet Freiheit zu demonstrieren und das steckt an. Wenn alle angesteckt sind, ist das Gemeinschaftsgefühl überwältigend. Studio ist Comfort-Zone – auf der Bühne hast du keinen zweiten Versuch!

FHast Du schon immer Musik gemacht? Wie kamst Du zur Trompete – und zum Entschluss, das Instrument tatsächlich auch zu studieren?

AMusik nicht. Vor allem lange nicht „ernsthaft“. Als Klassenkameraden zu Schulzeiten irgendwelche Preise geerntet haben, habe ich noch mit den Grundlagen der Trompete gekämpft. Musik ist das Resultat meines Charakters: Dinge so zu tun wie andere, langweilte mich entweder, oder ich war nicht gut darin. Doch ich hatte oft Einfälle, die mich dennoch musikalisch ans Ziel brachten. So ist das mit der Trompete auch. Ich war selten der „Vorzeigetrompeter“, aber mir hat es Spaß gemacht, mich einem Prozess hinzugeben, aus dem ich extrem viel über mich lernen kann. Diesen Prozess wollte ich fortsetzen, um mich persönlich und musikalisch weiter zu entwickeln. Wenn man „ent-wickeln“ wörtlich nimmt, passt das ganz gut. Ich hatte das Gefühl, dem Kern der Musik und meiner Person durch ein Studium näher zu kommen. Hat bisher ganz gut geklappt und dauert hoffentlich noch lange an.

FFür viele eingefleischte Jazzfans ist das Thema „Elektro“ ein Sakrileg. Wie kamst Du dazu, die meist doch eher analoge Welt des Jazz mit elektronischen Einflüssen zu kombinieren?

AWer hat Angst vor der Jazzpolizei? (lacht) Ich bringe jetzt mal ein „böses“ Argument: Es gibt einfach zu viele Parallelen, um es nicht zu tun. Die Grundsäulen des Jazz sind für mich Kreativität, Authentizität und Experimentierfreudigkeit. Geht es nicht genau darum, einen eigenen Sound zu kreieren? Allein schon seine eigenen „Sounds zu schrauben“ ist erstens kreativ und zweitens wahnsinnig persönlich. Ich kann als Jazzer nicht hundertprozentig voraussagen, was meine Mitmusiker als nächstes spielen werden – und somit experimentiere ich. Ich improvisiere! Als „Elektroniker“ sind Klänge oft so komplex, dass ich mich experimentierend mit ihnen befassen muss – ich improvisiere beispielsweise die Veränderung eines Klangkonstrukts. Und: Beide Genres suchen nach dem perfekten Sound. Der Jazzer kann es erreichen, wenn die Musiker einer Band perfekt aufeinander abgestimmt sind, der Elektroniker, wenn alle Elemente wie Drums, Percussions, Synthetische Klänge, Effekte, Bassline und Samples perfekt ineinander greifen. Schlussendlich ist es einfach nur Musik! Sie hat ihren Zweck erfüllt, wenn sie Menschen bewegt. Wenn sie den verbitterten „Jazzopa“ gemeinsam mit dem „Technohead“ aus dem Club raus bewegt, habe ich die beiden am Ende sogar vereint. (lacht)

F…allerdings! Und was sind Deine wichtigsten Inspirationsquellen für die vielen Improvisationen in Deiner Musik?

AIch versuche generell, alles bewusst und bis ins kleinste Detail zu erfassen. Parallelen zur Musik gibt es überall! Kochen beispielsweise ist sehr ähnlich zum Prozess des Musik-Mischens. Sprechen ist Phrasierung. Ich versuche mich jedoch so wenig wie möglich in der Musik selbst inspirieren zu lassen. Während ich spiele, finde ich „Fehler“ – oder besser gesagt: Das, was aus Versehen passiert extrem inspirierend.

FLetzte Frage: Der Titel „Not Yet Begun“ klingt tatsächlich so, als hättest Du noch viel vor. Auf was dürfen wir uns als nächstes freuen?

AHoffentlich auf besondere, einmalige Konzerte an besonderen Orten, die mit einer guten Anlage ausgestattet sind! Einfach schöne, musikalische Momente. Ende des Jahres flattert noch ein Album auf den Markt. Und ich einmal durch Deutschland – und danach durch die Welt! Soweit der Plan.

Lieber Julian – das war großes Kino. Herzlichen Dank für das ungewöhnliche Interview zu sehr früher Stunde – und eine gute Nacht!

Fotos: Paul Vincent Roll (Viro Entertainment) / J. Maier-Hauff

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