Welt der Extreme: Süchtig nach Bergen
Welt der Extreme: Süchtig nach Bergen
Zehn Jahre nach der Veröffentlichung seines gefeierten Bestsellers „Irrfahrt“ entführt uns der Niederländer Toine Heijmans erneut in eine unerbittliche Welt, mit einem Roman über Freiheit und Freundschaft, Stürme und Lawinen und die Folgen radikaler Entscheidungen. Was die Berge dem Menschen antun und was der Mensch den Bergen antut, darum geht es. Im Mittelpunkt des Romans „Der unendliche Gipfel“ stehen auf der einen Seite die hohen Berge, auf der anderen die Welt der tiefen menschlichen Gefühle zwischen den beiden Bergsteigerfreunden Lenny und Walter. Alles beginnt für Walter mit der Freundschaft zu Lenny. Zwei junge Männer, die sich mit Haut und Haaren dem Klettern verschreiben. Der etwas ältere und erfahrenere Freund Lenny wird für Walter zum Mentor und Lebenspartner. Eine perfekte Symbiose entsteht. Heijmans lässt uns teilhaben am Werdegang der beiden, die sich aus Begeisterung in das Abenteuer ihres Lebens stürzen. Jahre des Glücks folgen. Das Bergsteigen wird zur Profession, eine große Karriere nimmt ihren Anfang.
Doch Autor Toine Heijmans beginnt mit dem Ende. Oder vielmehr mit dem höchsten Punkt, dem Gipfel, den sein Protagonist am Ende einer langen Bergsteigerkarriere erreicht.„Ich bin auf dem Gipfel angekommen, und hier ist nichts. (…) Hier oben zu sein hat keine Bedeutung – das zu begreifen, ist das Schwierigste,“ lautet sein Resumee. Der Roman startet also mit einem Rückblick. Walter Welzenbach, der Ich-Erzähler, erinnert sich an die wichtigsten Etappen seines Lebens.
Doch während Lenny im Laufe der Jahre seine Prioritäten neu ordnet, sesshaft wird, eine Familie gründet und einen bürgerlichen Job annimmt, bleibt Walter zurück. Walter ist nicht für dieses „normale“ Leben gemacht. Fortan klettert er allein. Der Verlust des Gefährten schmerzt tief und besiegelt seine Einsamkeit.
Der Roman ist mitreißend erzählt. Ganz im Stile großer Abenteuerromane lässt der Autor seine Leser mitfiebern bei jeder einzelnen Expedition, die Walter unternimmt. Die Berge sind bei ihm mehr als eine statische Kulisse. Landschaft, Witterung und körperliche Anstrengung verschmelzen zu einem sinnlichen Gesamtbild. Walter lebt sein Bergsteigertum mit jeder Faser seines Körpers und genau dieses Empfinden transportiert Heijmans durch seinen großartigen Text.
Unterbrochen wird die Chronologie der Handlung oftmals durch historische Einschübe. So entsteht quasi nebenbei eine ausführliche Geschichte des Bergsteigens. Berühmte Namen und Ereignisse unterfüttern die Story. Schwindelerregende Pionierleistungen und tragische Niederlagen reihen sich aneinander. Walter selbst sieht sich als Teil dieser Tradition, die gipfelstürmende Männer und Frauen vor ihm geprägt haben. Ihnen fühlt er sich verbunden, denn auch sie standen abseits von der übrigen Gesellschaft. Menschen, die die Natur herausforderten und von ihr in die Schranken gewiesen wurden. Menschen, die das Extreme suchten, um sich selbst zu finden.
Mit Walter präsentiert uns Heijmans eine Figur, die geprägt ist durch ihre lebenslange Passion. Eine Passion, die für ihn stärker ist als alles andere im Leben. Stärker als jede Vernunft oder Liebe. Eine Passion, der Walter alles andere unterordnet. Die für ihn Lebensinhalt und Lebenszweck zugleich bedeutet. Von der er sich nie wird lösen können und die ihn am Ende einsam zurück lässt. Sie ist sein unendlicher Gipfel. Und sie ist die eine große Leidenschaft, die er nie wird stillen können.
Heijmans hat mit „Der unendliche Gipfel“ eine packende Story geschrieben. Er kombiniert die Biografie seiner Hauptfigur, eines Ausnahmesportlers, mit essentiellen Fragen des Lebens. Der Roman ist zugleich Beziehungsgeschichte, Abenteuerroman und Gesellschaftskritik. Es geht um die Geschichte des Alpinismus, um Klimakrise und Umweltprobleme. Heijmans hält alle diese gewichtigen Themen im fließenden Gleichgewicht.
Auch wer bis dato nichts mit Bergen, ihrer Schönheit, aber auch ihrer Gefahr, oder schlichten Größe am Hut hat, kann sich nach der Lektüre dieses Romans der Faszination der Berge nicht entziehen.
Fazit: Der Autor hat einen großartigen Roman geschrieben und er macht dem Leser unmissverständlich bewusst, dass Bergsteigen auch viel mit Demut zu tun hat.
Toine Heijmans: „Der unendliche Gipfel“, mairisch Verlag, 352 Seiten, 24 Euro.
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