Shepp und Moran – Intensives Treffen der Generationen

Shepp und Moran – Intensives Treffen der Generationen

Was wir hier zu hören bekommen ist nichts anderes als ein intensives Treffen zweier Generationen. Zwar standen sie schon viele Male gemeinsam auf der Bühne, ein Album von Jazzlegende Archie Shepp mit Jason Moran gab es aber bislang noch nicht. Jetzt ist es aber soweit: „Let My People Go“ heißt das Werk, das einige Highlights der beiden Musiker versammelt. Ihr erstes gemeinsames Album besteht aus Mitschnitten zweier Konzerte, die im September 2017 in der Pariser Philharmonie im Rahmen des Villette Festivals und in der Alten Feuerwache Mannheim während des Enjoy Jazz Festivals im November 2018 stattgefunden haben.

„Let My People Go“ verbindet Spirituals wie „Go Down Moses“ und „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“ mit Jazz-Klassikern wie „Wise One“, „Lush Life“ oder „’Round Midnight“. Es ist ein eindrucksvolles Dokument geworden. Nicht nur, weil der 83 Jahre alte Shepp mit seinem Saxophonspiel, seinem rauchigen, wütenden, explodierenden, dann wieder sanften, seufzenden, schmeichelnden Ton und dem altersweisen, berührenden Bariton-Gesang noch immer auf der Höhe seines Könnens ist. In Jason Moran hat er einen kongenialen Partner gefunden, der in den wohlbekannten Stücken neue Ecken und Kanten entdeckt. Moran, der in der Vergangenheit mit großen Saxophonisten wie Charles Lloyd, Lee Konitz oder Sam Rivers gespielt hat, liebt wie es scheint die Intimität des Duos, die herausfordernden Zufälle des improvisatorischen Zwiegesprächs.

Die Aufnahmen beweisen es: Aus dem „angry young man“ Archie Shepp ist ein weiser, aber noch immer kämpferischer alter Mann geworden. Geblieben ist auch: Archie Shepps Kunst ist ein Statement gegen den Rassismus in den USA und Ausdruck eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins. Shepp ist längst eine lebende Legende. Er partizipierte mit seinen schreienden, explosiv-kraftvollen Saxofon-Soli an der Jazz-Revolution der 60er Jahre. Die Jazzvordenker Cecil Taylor und John Coltrane erkannten sein großes Talent und holten ihn in ihre Bands.

Schon kurz danach ist Shepp dann seinen eigenen Weg gegangen und zu einer stark reflektierten Persönlichkeit gereift. Der 1937 in Fort Lauderdale, Florida geborene Saxofonist hat den Jazz und die afroamerikanische Musik immer wieder in den gesellschaftlichen Dialog einbezogen. Das jetzt vorliegende Album von Shepp und Moran zeigt eines überdeutlich: Beide verbindet eine große gemeinsame Offenheit und beide sind sehr gute Zuhörer. Der amerikanische Pianist Jason Moran – Jahrgang 1975 – stellt mit seinem Spiel und seiner musikalischen Herangehensweise Begriffe wie Avantgarde und Tradition mühelos auf den Kopf. Er ist in der internationalen Topliga der Jazzpianisten angekommen.

Anders als viele seiner Altersgenossen, die virtuos die Errungenschaften von Herbie Hancock, McCoy Tyner oder Keith Jarrett rekapitulieren oder den Lyrizismen eines Bill Evans nachsinnen, wagt Jason Moran mit selbstbewusstem Zugriff das Bekenntnis zu einem eigenen Sound.

Fazit: Shepp und Moran sind zwei überragende Improvisatoren, deren Musik lebt und atmet und betörend klingt. Diese Live-Aufnahmen sind der beste Beweis.

Archie Shepp & Jason Moran: „Let My People Go“ ist auf dem Label Archieball erschienen im Vertrieb von Broken Silence.

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