Über den Tellerrand: Kulinarische Bücher von Format
Über den Tellerrand: Kulinarische Bücher von Format
Wein ist wie Musik – sein Geschmack ist der Klang, der uns zum Träumen bewegt.
…sagt ein Sprichwort. Und genau aus diesem Grund schauen wir ab und an einmal über den (Platten)Tellerrand – Pardon: Über den Gläserrand – hinaus.
Denn oft genug entstehen die Reviews des wegotmusic.de-Teams unter Einfluss eines guten Tropfens! Gute Lektüre und viel Spaß mit und bei unseren beiden vinophilen und kulinarischen Buchtipps!
Romana Echenspergers Standardwerk zur Biodynamie im Weinbau
Romana Echensperger zählt gewiss zu den bekanntesten Sommelières in Deutschland. Ihr Weinwissen ist enorm. Zudem kann sie dieses Wissen einfach verdammt gut und sehr locker an die Frau und den Mann bringen. Keine Spur von den leider oft üblichen verklausulierten Ausschweifungen zum Thema bei vielen selbsternannten Weinexperten. Überdies ist sie eine der wenigen Frauen weltweit, die eine internationale Ausbildung zum „Master Of Wine“ absolviert hat. Insgesamt gibt es nur gut 300 Menschen, die diesen Titel tragen dürfen.
Echensperger hat nun ein neues Buch geschrieben mit dem vielsagenden Titel „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen“. Zweifellos gelang ihr damit ein Standardwerk über den biodynamischen Weinbau, das obendrein sehr unterhaltsam und mit Gewinn zu lesen ist. Der Münchner Fotografen Konstantin Volkmar steuert höchst liebevoll und abwechslungsreich die Fotos dazu bei. Das Material ist wahnsinnig vielfältig und riesig. Es ist viel passiert von den Anfängen im Weinbau bis zur aktuellen Biodynamie-Bewegung der letzten Jahre, die gottlob munter fortschreitet und länderübergreifend erfolgreich ist. Längst arbeiten große Weingüter wie Lageder in Südtirol oder Bernhard Ott aus Wagram in Niederösterreich biodynamisch und erzielen beste Ergebnisse.
„Auf alle Fälle muss man mit der Geschmacksbildung anfangen,“ erklärt die Weinexpertin. Noch wichtiger für das Verständnis von Wein sei allerdings das Gespür für den Boden und die Natur im Weinberg. Und so machte sich Romana Echensperger fasziniert von der biodynamischen Wirtschaftsweise und von leidenschaftlichen Winzern auf den Weg zu zwölf Spitzenweingütern. Über einen Zeitraum von zwölf Monaten begleitete sie die Winzer bei ihrer Arbeit und entlockte ihnen die Geheimnisse ihres Handwerks. Die besuchten Weinmacher erzählen darin von ihrer Passion, in Freiheit einen Wein zu kreieren, unabhängig von Hilfsmitteln der Agrarindustrie, von Spritzmittel-Apps und Empfehlungen aus dem Labor – einen individuellen, unverwechselbaren Geschmack, der mehr und mehr Liebhaber findet.
Was Biodynamie überhaupt bedeutet und warum sie die Weinwelt erobert, zeigt Echensperger anschaulich anhand der Geschichte der Landwirtschaft und des Weinbaus. Nicht nur die Forschungsergebnisse der Wissenschaftler an der Universität Geisenheim bestätigen: Die Bedeutung und Möglichkeiten dieser wiederentdeckten Wirtschaftsweise für Mensch und Umwelt sind immens! Zwar ist Bio allein ist noch kein Argument. Fest steht aber:Die Anbauflächen für Weine aus ökologischem Anbau haben sich weltweit vervielfacht. Auch die Qualität der Produkte hat sich massiv gesteigert: Unter den deutschen Spitzenlagen sind immer mehr Bioweine. Nun kommen vegane und histaminarme Weine hinzu. Die Bioflächen in Deutschland haben sich in der letzten Dekade verdreifacht, aber sie bleiben, mit unter zehn Prozent Anteil an der gesamten Rebfläche, immer noch auf niedrigem Niveau.
Romana Echensperger lässt in ihrem Buch die Winzer ausführlich zu Wort kommen: „Wenn wir Wein immer weiter industrialisieren, werden wir dort enden, wo der industrielle Ackerbau heute ist“, ist Franz Weninger, Biowinzer aus Österreich, überzeugt.
Über 10 Milliarden Euro Umsatz machten Bioprodukte 2017 in Deutschland, Tendenz steigend. Dieses Wachstum gilt auch beim Wein. Die Nachfrage nach Bioweinen ist weltweit massiv gestiegen, der Wechsel auf biologischen Anbau ist für die Winzer auch aus wirtschaftlichen Gründen interessant. Den handwerklichen Mehraufwand im Weinberg und die sorgfältigere und oft länger dauernde Reifung im Keller verursachen zwar mehr Kosten, doch die Verbraucher wissen das und sind bereit, für biologisch erzeugte Weine auch mehr auszugeben.
Auch im preislich oberen Segment sind die Weine aus ökologischem Anbau längst angekommen. Unter den rund 200 Mitgliedsbetrieben des Verbands der Prädikatsweingüter (VDP), sozusagen der Ersten Liga des Weinbaus in Deutschland, findet man 38 Biobetriebe, das sind knapp 20 Prozent. Verglichen mit dem Anteil der biologisch bewirtschafteten Flächen von rund 8,5 Prozent an der Weinbau-Gesamtfläche in Deutschland (102.000 Hektar) ist das schon ein erstaunlicher Wert. Zu den VDP-Winzern, die ökologischen Anbau betreiben, zählen heute auch Traditionsweingüter wie Reichsrat von Buhl, Dr. Bürklin-Wolf oder Müller-Catoir, die in den einschlägigen Weinführern regelmäßig unter den Top Ten landen. Zu den weiteren im Buch erwähnten Betrieben gehören John, Kühn, Humbrecht, Loimer, Boesch, Busch, Saahs und Goess-Enzenberg.
Echensperger ist ist überzeugt: Gerade die Rebe als mehrjährige Pflanze und die Traube mit ihren unzähligen Aroma- und Inhaltsstoffen reagieren besonders stark auf nachhaltige Anbaustrategien. In keinem anderen Produkt ist der Unterschied, den bio macht, so zu schmecken wie im Wein. Bio bedeutet kein Kunstdünger, keine Chemie, ein neues Verständnis für den Boden, ein Bemühen um Biodiversität, um die Monokultur Weinberg zu durchbrechen, usw. So sind neue Weine entstanden und für die Menschen, die dort arbeiten, ein ganz anderes Lebensgefühl. Auch international zieht die Bewegung weite Kreise. Die ganze Crème de la Crème im Burgund ist mittlerweile biodynamisch, auch bei den Champagnern, an der Rhône, Loire, im Elsass, in der Toskana, im Languedoc. Große Veränderungen sind fast überall im Gang.
Romana Echensperger: Die Freiheit, den richtigen Wein zu machen. Westend Verlag, 288 Seiten, 32 Euro
David Höner: Ein echtes kulinarisches Manifest
Einfach mal runterkommen und beim gemeinsamen Essen nach Lösungen suchen. Das ist die Idee der Hilfsorganisation „Cuisine sans frontieres“. Sie wurde 2005 von David Höner gegründet. Seit vielen Jahren reist der Schweizer Koch und Autor durch die Krisenregionen der Welt, um Menschen beim Kochen und Essen zusammenzubringen. Einen Einblick in das, was er seit 16 Jahren macht, findet sich in seinem Buch „Kochen ist Politik. Warum ich in den Dschungel gehen musste, um Rezepte für den Frieden zu finden“. Jetzt hat David Höner ein weiteres, spannendes Buch mit dem Titel „Köche, hört die Signale“ geschrieben, dass uns allen die Augen öffnen soll für unser tägliches Essen und dem verantwortlichen Umgang mit demselben. Sein Credo lautet: „Ein Widerstand gegen diese Zustände – gemeint ist die industrielles Verführung bei Nahrungsprodukten – ist möglich.“
Für die Beschreibung des Ist-Zustands benutzt er drastische Worte und gibt sich kämpferisch: „Wir werden wie die Schweine zum Futtertrog in die Supermärkte getrieben, wo wir uns Fett kaufen können“, sagt Höner. „Wir verlieren gerade den Bezug zum elementarsten Bedürfnis, zum Essen, zu den Lebensmitteln, lassen uns industriell gefertigte Ware andrehen bis zur Abhängigkeit. Und bezahlen teuer dafür.“ Ihm geht es um das Wesentliche, um eine Umkehr. In seinem neuen Buch wendet er sich direkt an die Köche. Und so heißt sein literarischer Appell: „Köche, hört die Signale!“. Der Band ist mehr als nur ein Buch mit Anregungen und Vorschlägen, es ist ein handfestes Manifest.
Höner hat den Blick fürs Detail, aber auch fürs Ganze. Man hat einiges schon mal so oder ähnlich gelesen, spannend sind aber die neuen Ansätze, die Höners „Manifest“ liefert: So deutet er etwa die zunehmenden Lebensmittelunverträglichkeiten auch als Misstrauensvotum des Gastes gegenüber dem Gastgeber: „Dieses verlorene Vertrauen lässt sich mit klein gedruckten und unverständlichen (Lebensmittel-)Deklarationen nicht erneuern.“ Wenn Höner übers Essen und Trinken schreibt, kommt kein Büchlein heraus, in dem ein paar simple Rezepte und nette Anekdoten versammelt sind inklusive Hochglanzfotos von gestylten Gerichten. Nein, er nimmt Nestlé und McDonald’s ins Visier; holt ein paar bekannte Co-Autoren wie etwa Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann mit ins Boot oder auch Franz Keller, Sandra Knecht, Maria Groß und Doris Dörrie.
Er sagt: Wir alle müssen wieder lernen, unseren Sinnen zu vertrauen. Sehen, hören, riechen, schmecken und anfassen, das sind die fünf Sinne, die wir einsetzen können. Dann kommt der Rest fast von selbst. Einen Apfel riechen, hören wie der Wind durch ein Maisfeld rauscht, die Brombeeren sehen im Dornengestrüpp, die einen beim Pflücken stechen, ein lebendiges Huhn aufheben und festhalten, wenn es mit den Flügeln schlägt. Diese, und tausend andere, einfache Dinge, die mit Essen und Trinken zu tun haben, sind immer weniger auf dem Bildschirm der urbanen Gesellschaft. Wir verlieren gerade den Bezug zum elementarsten Bedürfnis, zum Essen, zu den Lebensmitteln, lassen uns industriell gefertigte Ware andrehen bis zur Abhängigkeit.
Neben den verkümmerten Sinnen sind es die falsch gesetzten Werte. Noch vor 50 Jahren wurde in praktisch jedem Haushalt gekocht, ein Viertel des Einkommens verbrauchte eine Familie für die Lebensmittel. Heute sind es zwischen 10 und 14 Prozent. Nun, gut Ding will Weile haben. Offenbar ist mittlerweile die mehrstündige Präsenzzeit vor dem Bildschirm oder mit dem Smartphone es wert, dafür eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben, die einem all das abnimmt, was man eh schon verlernt hat.
Der kochenden Hausfrau, so Höner weiter, hat man tüchtig den Garaus gemacht. Nicht zuletzt, weil man sie nicht respektiert hat. Heute hat man zwar extrem teure Küchen, die 50.000 Euro und mehr kosten mit allem Drum und Dran, aber kochen tut darin kaum jemand. Wozu hat man schließlich die Mikrowelle?
Höner hat eine weitere Schwachstelle ausgemacht: Köche werden schlecht ausgebildet, weil sie im eigentlichen Sinne gar keine Köche mehr sind, sondern unterbezahlte Industriearbeiter. Das Überangebot an Halbfertig- und Fertigprodukten ist da keine Hilfe. Auch hier müssen die Weichen wieder zurückgestellt werden. Das heißt eben, wieder Köche ausbilden, die auch ein Tier zerlegen können, die mit den Landwirten direkt arbeiten.
Gegen Ende des Buches heißt es „wir Menschen sollten einfach aufhören mitzumachen und unser Hirn anschalten.“ Das sind klare, auch drastische Worte. In seinem Buch spricht Höner von seinem Wunsch nach einem Zurück zu einer guten Küche, und den Begriff des Guten darf man dabei in vielen Farben ausmalen. Gut ist für Höner nicht die Globalisierung, nicht die Nahrungsmittelindustrie, nicht das Leben in den Städten. „Der urbane Mensch erkennt einen reifen Apfel nicht mehr am Geruch, weiß kaum, dass Käse aus Milch hergestellt wird und wie viele Eier ein Huhn in einer Woche legen kann.“ Höner ist überzeugt, dass es keine engere Verbindung von Kultur und Natur gibt als die Gastronomie. Lesenswert ist das faktenreiche Buch allemal. Es beschreibt eindrucksvoll die Defizite und erörtert an Beispielen wie es gelingen kann eine bessere Nahrungsmittel-Welt aufzubauen.
David Höner: „Köche, hört die Signale“, Westend Verlag, 175 Seiten, 18 Euro
Headerfoto: unsplash.com