Astor Piazzolla – Der Erfinder des Tango Nuevo wurde vor 100 Jahren geboren

Astor Piazzolla – Der Erfinder des Tango Nuevo wurde vor 100 Jahren geboren

Dass der Tango als ehemals verrufene Musik der Bordelle und Spielhallen den Weg in die internationalen Konzertsäle geschafft hat, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Astor Piazzolla. Er brach mit den Regeln des traditionellen Tango und verarbeitete Einflüsse aus Jazz, Klezmer und Klassik zu innovativer Musik, die von den Puristen seiner Heimat Argentinien anfangs scharf kritisiert wurde. Heute werden genau jene Stilbrüche auf der ganzen Welt begeistert gefeiert. Am heutigen Donnerstag wäre Piazzolla 100 Jahre alt geworden.

Geboren wird Astor Piazzolla am 11. März 1921 im argentinischen Badeort Mar del Plata, als einziges Kind italienischer Einwanderer. Doch schon bald zieht die Familie nach New York. Dort lernt Astor das raue Leben der Straße kennen, den täglichen Kampf um Arbeit und Brot. Erst als die Familie 1937 nach Argentinien zurückkehrt, lernt Piazzolla den Tango lieben. Sein Vater leiht ihm 2000 Pesos und damit zieht der 17-jährige Bandoneonspieler in die Geburtstadt des Tango: nach Buenos Aires. Er verdient sein Geld, indem er Arrangements für Tanz-Orchester schreibt und wird schließlich Mitglied im berühmten Ensemble des Bandoneonspielers Aníbal Troilo. Für seine Sinfonie „Tres movimientos sinfónicos – Buenos Aires“ erhält er schließlich ein Stipendium, das sein Leben verändern sollte: Er bekommt Unterricht bei Nadia Boulanger in Paris, der wichtigsten Musikpädagogin jener Zeit. „Machen Sie etwas Neues, Wunderbares aus der Musik ihres Heimatlandes“, riet sie ihm.

Die Komponistin bestärkte ihn in seiner eigenen musikalischen Sprache mit Elementen des Tango argentino, aus Klassik und Jazz: Der „Tango Nuevo“ war geboren. Als Piazzolla nach Argentinien zurückkehrte, begann er eine Neuinterpretation des Tango. Er veränderte Rhythmik, Harmonik und Tempi; hinzu kamen Stile aus der Barockmusik wie der Kontrapunkt und die Fugenform sowie Elemente aus dem Jazz. Dem klassischen Tango-Sextett fügt er ein Cello, eine E-Gitarre hinzu, um, wie er sagt, den Swing im Tango zu finden. Bogenschläge auf der Violine, stechende Streicherakzente in hoher Lage, Glissandi des gesamten Ensembles, virtuose Bandoneonläufe und eine Anreicherung der Besetzung durch eine Vielzahl von Perkussionsinstrumenten bestimmen jetzt seine Musik. Dennoch verliert Piazzollas Tango Nuevo nie das Romantische und die Leidenschaft, Dramatik, Erotik und Heftigkeit des traditionellen Tango.

Der neue Kompositionsstil Piazzollas stieß zunächst auf große Kritik, da viele traditionelle Argentinier ihre Nationalmusik in Gefahr sahen. Beschimpfungen und Anfeindungen, bis hin zu Prügeleien waren an der Tagsordnung. Er wurde gar als Hochverräter beschimpft. Buenos Aires lässt dem Tango-Revolutionär keine Chance. Der packt seine Sachen und geht denselben Weg, wie Jahre zuvor sein Vater: nach New York. Doch auch dort bleibt der Erfolg zunächst aus.1959 erreichte ihn dann eine Nachricht aus Mar del Plata: sein Vater, der von allen Nonino genannt wurde, war gestorben. Ihm widmete er die Komposition „Adios Nonino“. Es ist heute sein weltweit meist gespieltes Thema.

Erst Mitte der 70er Jahre eroberte Piazzolla die großen Bühnen: zuerst in Europa, wo er immer wieder einige Monate lebte und tourte. Auch politisch lässt er keinen Zweifel an seiner freiheitsliebenden Gesinnung. Während der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983 geht Piazzolla konsequenterweise nach Italien ins Exil. Wie ein Besessener komponiert er, konzertiert und erstellt Arrangements eigener Werke für unterschiedlichste Besetzungen. Am Ende seines Lebens kann er stolz auf etwa 300 Tango, fast 50 Film-Soundtracks und rund 40 Schallplatteneinspielungen zurückblicken. Im Laufe seiner Karriere arbeitete er mit Literaten wie Jorge Luis Borges und Horacio Ferrer zusammen, mit der Schauspielerin Jeanne Moreau, mit dem Regisseur Fernando Solanas, führte Projekte mit dem kreativen Kronos-Quartet durch sowie mit Jazz-Musikern wie Gary Burton oder Gerry Mulligan. Für Pina Bauschs Tanztheater schrieb er die Musik zum Ballett Bandoneón. Musiker aus der Klassik wie Gidon Kremer oder Yo Yo Ma nahmen sich seiner Werke an.

Er komponierte Ballettmusiken für Bandonéon, Rhapsodien und im Jahre 1953 die Sinfonie „Buenos Aires“. Unsterblichkeit erlangte er durch seine Tango-Operita „Maria de Buenos Aires“. Eine bedeutende Interpretin der Titelheldin war die Italienerin Milva.

Zwei Jahre nach einem Schlaganfall stirbt Astor Piazzolla am 4. Juli 1992  im Alter von 71 Jahren in Buenos Aires. In seiner „Ballade für meinen Tod“ – Balada para mi muerte – hatte der Komponist sogar einst vorausgesagt, dass er bei Morgengrauen in Buenos Aires sterben würde. Piazzolla hat den Tango gesellschaftsfähig gemacht. Ihm ist zu verdanken, dass es der Tango als ehemals anrüchige Musik in internationale Konzertsäle geschafft hat. Ganz zurecht nennt man ihn den „König des Tango“. Piazzollas Musik entzieht sich allen Versuchen einer Kategorisierung. Sie ist beides zugleich: „klassisch“ und „unterhaltend“.

Das Rheingau Musik Festival (RMF) würdigt den großen Tango-Musiker in einem Schwerpunkt-Programm mit insgesamt vier Konzerten im Juli (8.7. und 17.7.) sowie im August (7.8. und 8.8.). Mit dabei ist das seit 1998 in der heutigen Besetzung bestehende Astor Piazzolla Quintett. Weitere Informationen und Karten im Vorverkauf gibt es auf Rheingau-Musik-Festival.de

Cover-Foto: unsplash.com