András Schiff: Brahms erfrischend entschlackt
András Schiff: Brahms erfrischend entschlackt
Oft tut Entschlackung gut. Auch und gerade in der Musik. Ein gelungenes Beispiel sind die jetzt veröffentlichten Klavierkonzerte von Johannes Brahms mit András Schiff und dem Orchestra of the Age of Enlightenment (OAE). Im Booklet-Text zu seiner Neuaufnahme der beiden Klavierkonzerte schreibt Schiff: Statt „schwerfällig, grob, dick und laut“, ist diese Musik nämlich „durchsichtig und feinfühlig, dynamisch äußerst differenziert und schattiert“. Und Schiff liefert auch gleich den Beweis dafür ganz im Originalklang-Stil.
Von einem um 1859 entstandenen Blüthner-Flügel aus dirigiert er das englische Orchestra of the Age of Enlightenment, das nicht nur auf Instrumenten des 19. Jahrhunderts spielt. Die Firma Blüthner spielte damals in der ersten Liga der Klavierbauer. Ein Instrument, das nicht so wuchtig daherkommt wie moderne Flügel. Passend zu den damaligen Aufführungs-Gepflogenheiten wurde die Besetzung jetzt vom längst etablierten großsinfonischen Apparat auf etwa 50 Musiker festgelegt. Auch Skeptiker werden erstaunt sein und nicht unbedingt etwas vermissen.
Transparenz und ein Reichtum an Gesten und Farben werden plötzlich sehr offenbar. So erfrischend entschlackt jetzt diese beiden urromantischen Konzerte daherkommen, so fehlt es ihnen keineswegs an Körper und Geist, an Tiefe und Seele. Das dürfte auch Schiffs Gespür für den richtigen Flügel geschuldet sein, der trotz seines historischen Klangs eine Fülle und Wärme aufweist. Brahms mal anders und richtig gut dank Schiff und Orchester.
Bisher hat sich András Schiff vor allem als herausragender Interpret von Bach, Mozart, Beethoven und Bartók einen Namen gemacht. Weniger bekannt ist sein besonderes Faible für Brahms. Dabei reicht seine innige Beziehung zu Brahms᾿ Musik zurück bis in seine Kindheit: „Ich war damals etwa zehn Jahre alt und konnte keine Brahms-Stücke spielen, denn seine Musik ist nicht dafür gedacht, von Kindern gespielt zu werden, trotzdem war er damals mein Lieblingskomponist, insbesondere seine beiden Klavierkonzerte hatten es mir angetan. Nun im reifen Alter von 67 Jahren komme ich langsam, aber sicher zurück zu meiner ersten Liebe“, schmunzelt er. „Ich liebe Brahms immer noch so sehr wie damals.“
Die britische Presse jedenfalls lobte Schiff und das OAE in den höchsten Tönen: „Brahms´ erstes Klavierkonzert erklang dank des prägnanten Spiels des Orchesters und der charaktervollen Phrasierung von András Schiff wie neu“. Der gemeinsame Wunsch der Musiker, das Erlebnis festzuhalten, führte zu dem vorliegenden Doppelalbum, das im Dezember 2019 in London aufgenommen wurde. Ein umfangreiches CD-Booklet enthält Texte von András Schiff und Peter Gülke auf Deutsch und Englisch.
András Schiff/Orchestra of the Age of Enlightenment: „Johannes Brahms – Piano Concertos“ ist auf dem Label ECM New Series erschienen.