Michel Portal mit 85 noch immer in Bestform

Michel Portal mit 85 noch immer in Bestform

Michel Portal ist die Vielseitigkeit in Person. Er ist nicht nur das gute Gewissen des französischen Jazz, sondern auch unermüdlicher Grenzgänger zwischen Klassik, Improvisation und Experiment. Allerdings interessieren ihn selbst diese Unterscheidungen nicht. Kürzlich erschien sein aktuelles Werk „MP85“. Darauf präsentiert sich Portal im Kreise einer illustren Mannschaft mit Nils Wogram (Posaune), Bojan Z (Piano, Keyboards), Bruno Chevillon (Doppelbass) und Lander Gyselinck (Schlagzeug) modern, reflektiert und versöhnlich. Mit Boyan Z und Bruno Chevillon stützt er sich auf zwei treue Weggefähten. Und mit Wogram hat er einen der bedeutendsten deutschen Posaunisten eingeladen (übrigens regelmäßiger Partner von Bojan Z als Duo!) und nicht zu vergessen, die derzeitige Offenbarung der europäischen Szene, den jungen Belgier Lander Gyselinck (Lab Trio, Kris Defoort Trio). Das Album „MP85“ kommt gerade recht zu seinem 85. Geburtstag. Genau zehn Jahre nach seinem letzten Solo-Album „Baílador“, enthält es ausschließlich Eigenkompositionen. Im Fokus steht wieder der zeitgenössischem Jazz, wobei die Klarinette dominiert. Die Kreativität des 85-jährigen Jazzvirtuosen ist ungebrochen groß und in Verbindung mit seiner Erfahrung kaum zu überbieten. Entstanden sind die zehn Stücke während der Corona-Zeit. Es war eine schwere Zeit für den umtriebigen Musiker. Denn, so Portal: „Ich liebe es, vor Publikum zu spielen, es ist wie eine Metamorphose. Ich fühle mich richtig schlecht, wenn ich zwei Wochen lang nicht auftreten konnte. Aber nach einem Konzert fühle ich mich immer, als hätte ich eine Tonne Aspirin geschluckt.“

Portal beherrscht verschiedene Klarinetten und Saxophone sowie das Bandoneon, auch als Komponist ist er sehr angesehen. Seine Weisheit, sein Witz, seine jugendliche Energie und seine Neugier, die er in seine erstaunlichen Improvisationen einbringt, sind nur einige der Zutaten, die zu seiner erfolgreichen und immer noch andauernden Karriere beitrugen. Portals aktuelles Album zeigt eines ganz deutlich: Der Franzose ist in vielen musikalischen Welten unterwegs, und er fühlt sich in allen wohl. Und ein Weiteres kommt hinzu. Sein Erfahrungsschatz ist riesengroß. Schließlich war er einer der Akteure, die die Entwicklung des Free Jazz in den 60er Jahren in Frankreich vorantrieben, mit Vinko Globokar begründete er die Gruppe „New Phonic Art“, um Kollektiv-Improvisationen und „instant composing“ weiter zu entwickeln.

Nach einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit John Surman im Jahre 1970 gründete Portal im Folgejahr die langlebige Formation „Michel Portal Unit“, die amerikanischen und europäischen Musikern eine gemeinsame Plattform für freie Improvisationen bot. Mitte der 70er Jahre begann er dann, Filmmusik zu komponieren und nahm später sogar ein Album mit dem Titel „Musiques de Cinémas“ auf. In den folgenden Jahrzehnten baute er seine internationale Reputation in verschiedenen Bands, bei Konzerten und Aufnahmen weiter aus, spielte oft mit Pierre Favre, Dave Liebman, Martial Solal, Mino Cinelu und Jack DeJohnette. Alle diese Stationen haben dazu beigetragen, dass Portal ein Ausnahmemusiker geworden ist. Mit „MP85“ hat er sich nunmehr ein Denkmal gesetzt, auch wenn er dies nicht gerne hört.

Michel Portal: „MP85“ ist auf Label Blue erschienen im Vertrieb bei Broken Silence.