Zum 100. Geburtstag von Ravi Shankar
Zum 100. Geburtstag von Ravi Shankar
Er brachte die indische Musik auf die Weltbühne, soviel steht fest. Und er brachte den Hippies die Indien-Euphorie und lehrte George Harrison die unverwechselbaren Klänge der Sitar: Ravi Shankar, er galt als „Grenzüberschreiter“. Am 7. April 2020 wäre er 100 Jahre alt geworden. Ravi Shankar wurde am 7. April 1920 in Varanasi als jüngster von sieben Söhnen einer bengalischen Brahmanenfamilie geboren. Nach der Trennung der Eltern wuchs er bei seiner Mutter auf. Sein Geld verdiente er zunächst als Tänzer, bis er schließlich mit 18 Jahren lernte, die Sitar zu spielen. Ravi Shankar, den man in seiner Heimat „Pandit“ (Gelehrter) nannte, gründete 1962 die Kinnara School of Music in Mumbai, fünf Jahre später eine Zweigstelle in Los Angeles. Shankar unterrichtete an Hochschulen in New York und Los Angeles, leitete ab 1970 die Abteilung für Indische Musik am California Institute of the Arts. Er komponierte zahlreiche Filmmusiken, unter anderem zu Richard Attenboroughs Film „Gandhi“. 1986 wurde er von Ministerpräsident Rajiv Gandhi für das Oberhaus des indischen Parlaments nominiert, dem er bis 1992 angehörte. Shankar ist Vater der prominenten Sitarspielerin Anoushka Shankar und der weltberühmten Soul- und Jazzsängerin Norah Jones. Ravi Shankar verstarb am 11. Dezember 2012 im kalifornischen San Diego im Alter von 92 Jahren.
Er spielte in Woodstock und Monterey
Er spielte in Woodstock, unterrichtete George Harrison und beeinflusste unzählige Rockbands. In Monterey und Woodstock tritt er neben Jimi Hendrix auf und gegen dessen skurrile Virtuosität mit leisem Klang doch großer Virtuosität an. Dann das vielbeachtete Concert for Bangladesh. Flower Power, LSD und Joints verlangsamen die hektische Denkungsart des Westmenschen jener Tage und öffnen sie für Shankars Klänge. Doch Ravi mag die Hippies nicht besonders, ja insgeheim verachtet er sie. Er kann nicht verstehen, warum junge Menschen – „einige sogar aus gutem Hause“ – so ungepflegt zu seinen Konzerten kommen müssen. Die Philosophie des Beat kann er nicht fassen. Und während die Achtundsechziger sich politisch motivieren, gruppieren, demonstrieren, lässt Ravi verlauten, Politik interessiere ihn nicht. „All politics is dirty.“ – alle Politik sei schmutzig.
George Harrison war sein Schüler
Er gründet das Indian National Orchestra und begegnet Yehudi Menuhin. East meets West – Lob und Auszeichnung für ein Werk für Violine, Sitar und Tabla. George Harrison wird sein Schüler. Ravi arrangiert und spielt „Within You Without You“ auf „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, hält die Beatles zu diesem Zeitpunkt aber noch für „unseriös“ und sein Name erscheint nicht auf der Plattenhülle. Symphonische Werke für Sitar, Tabla und Orchester unter André Previn oder Zubin Mehta, zahllose Auftritte auf der ganzen Welt folgen.
Niemand zupfte die Sitar, die traditionelle Langhalslaute, die aussieht wie eine Rundgitarre mit Giraffenhals, so virtuos wie er. „Ich bin bei meiner Musik niemals Kompromisse eingegangen. Ich habe mich bewusst entschieden, das langsame Element und die Spiritualität unserer Musik zu betonen.“ Um die Sitar und die indische Musik in vollem Umfang zu lernen und zu begreifen, warnte er alle psychedelischen Schwärmer, brauche man mehr als ein Menschenalter. Ohne Ravi Shankar hätte niemand das obertönige Zirpen und Schwirren der Langhalslaute im Ohr, die heute in allem, was indische Spiritualität andeuten soll, den Ton angibt. Ohne ihn hätte sich nicht früh das Wissen durchgesetzt, was einen Raga ausmacht, nämlich jene erst auf-, dann absteigende und bis in die mikrotonale Abweichung festgelegte Grundlinie, die mit einem der neun Rasas, den alle Künste durchwirkenden Grundstimmungen, und einem der Talas, den mathematisch präzise aufgeteilten Rhythmuszyklen, über Tausende von Abwandlungen in stundenlange Improvisationen münden kann. Das vermeintlich Freie an der Musik – die indischen Ragas sind improvisierte Variationen über ein Thema und dehnten sich bei Shankar oft über eine Dreiviertelstunde aus – beruht tatsächlich auf dem jahrelangen Studium der 72 indischen Tonarten und Tausenden Melodiefolgen, die der Sitarspieler beherrschen muss.
Hohe Kunst des Sitar-Spiels
Musiker, die dem Geist seiner Musik mehr Respekt erweisen konnten, fand Ravi Shankar dann auch eher im Jazz, beim großen John Coltrane, dem er die Grundzüge der indischen Musik beibrachte. Auch ein Ensemble wie John McLaughlins Shakti lässt sich ohne seine Vorarbeit nicht denken. Dabei fanden die ersten „East Meets West“-Kontakte auf klassischem Gebiet statt. Shankars früheste Weggefährten waren der Geiger Yehudi Menuhin und der Flötist Jean-Pierre Rampal.
Shankars Privatleben war über die Jahrzehnte von diversen Beziehungen und Trennungen geprägt. Sein Sohn Shibhendra (1942 -1999) aus erster Ehe sowie seine Tochter Anoushka (geboren 1981) lernten beide ebenfalls das Sitarspiel und begleiteten ihren Vater auf diversen Tourneen. Aus einer Beziehung mit einer New Yorker Konzertproduzentin ging seine Tochter Norah Jones hervor, die mittlerweile selbst als Soul- und Jazzsängerin weltbekannt ist. Sein bewegtes Leben füllt gleich mehr als eine Autobiografie: 1969 erschien bereits „My Music, My Life“, 1997 brachte sein Freund und Schüler George Harrison „Raga Mala. The Autobiography of Ravi Shankar“ heraus.
„Durch Ravi haben alle Menschen auf der Welt Indien kennengelernt.“ Diese Worte, mit denen Zubin Mehta den 2012 verstorbenen Sitar-Spieler Ravi Shankar würdigte, umreißen die Bedeutung des Künstlers: Kein anderer indischer Instrumentalist und Komponist hat die Musik und Spielkunst seines Heimatlands international so bekannt gemacht wie er. Shankar verstand sich Zeit seines Lebens als Mittler zwischen Ost und West.
Shankar arbeitete mit ganz unterschiedlichen westlichen Künstlern zusammen, mit Yehudi Menuhin, George Harrison, André Previn, Philip Glass – und seinem Landsmann Zubin Mehta, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verband. Mehta war es auch, der den Entstehungsprozess von Shankars Zweitem Konzert für Sitar und Orchester Raga-Mala, einem Auftragswerk des New York Philharmonic Orchestra, begleitete und das Werk 1981 mit Shankar als Solisten uraufführte. Dieses Stück basiert auf ungefähr 30 Ragas, traditionellen indischen Melodieformeln, und verbindet die fernöstliche Kunst der Improvisation mit dem konzertierenden Spiel eines klassischen Konzerts.
Ravi Shankar, London Symphony Orchestra, André Previn, Shankar: Concerto for Sitar and Orchestra No. 1, Ravi Shankar, London Philharmonic Orchestra, Zubin Mehta, Shankar: Sitar Concerto No. 2, Ravi Shankar, Shankar: West Meets East, Vol. 2, Ravi Shankar, Yehudi Menuhin & Jean-Pierre Rampal, Improvisations: West Meets East, Vol. 3, Ravi Shankar: Raga Khamaj / Raga Lalit
Warner Music kündigt für Ende Mai 2020 eine 5 CD umfassende Ravi Shankar Edition an.
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