Etta Scollo: Spannende Sammlung wahrer Geschichten
Etta Scollo: Spannende Sammlung wahrer Geschichten
Etta Scollo ist „die Stimme Siziliens“. So wird sie jedenfalls von vielen genannt. Jetzt hat die in Berlin heimisch gewordene Sängerin ihr neues Album veröffentlicht und wieder einmal besticht Scollo mit ihrer betörenden Stimme.„Il passo interiore“, („Der innere Schritt“), heißt Etta Scollos neues Album, in dem ihr etwas Außergewöhnliches gelingt. Sie singt von leidvollen Erfahrungen von Menschen und bringt darin doch musikalisch viel Hoffnung zum Ausdruck. So wie in den Liedern über das Grubenunglück in Marcinelle 1956, die aus Erinnerungen von Überlebenden entstanden sind. Scollo reist auf ihrem neuen Werk durch Europas Dramen. Sie versetzt sich in die innere Emigration des ungarischen Komponisten György Ligeti und vertonte den Offenen Brief der früheren Bürgermeisterin von Lampedusa. Etta Scollo fand im Brief der Giusi Nicolini eine starke poetische Formel für das Mitgefühl: Die Bürgermeisterin verlangte, für jeden einzelnen Ertrunkenen ein Telegramm zu bekommen – wie eine Mutter, deren Sohn im Krieg gefallen ist. Etta Scollo ist eine Poetin pur, deren Lieder schon über Jahre hinweg aufwühlen und berühren, Haltung zeigen und Hoffnung machen. Immer wieder aufs Neue. Exquisit begleitet von Eva Freitag (Cello), Cathrin Pfeifer (Akkordeon) und den Sängern Céline Kempenaers, Aurélie Frank, Martin Netter, Matthias Jahrmärker und Thomas Heiß wird der Hörer mit diesen Texten weit in die Vergangenheit geführt.Das alles berührt zutiefst und lässt doch für die Zukunft hoffen.
Im Grunde genommen ist „Il passo interiore“ auch eine theatralisch aufgefasste Bestandsaufnahme der Gesellschaft, verpackt in eine spannende Sammlung wahrer Geschichten. Etwa die in einer bewegenden Trilogie über die Bergarbeiter hat Etta Scollo die Interviews einer Witwe, ihrer Tochter und eines Überlebenden des Grubenunglücks aus Paolo di Stefanos Buch „La catastròfa“ zu erschütternden Kleinoden geformt. Wie „die alltäglichen Gesten der Liebe trotz allem das Unglück überstrahlen“, das hat sie in einem geradezu innigen musikalischen Ton eingefangen. Und schließlich das Schicksal des Holocaust-Überlebenden Shlomo Venezia im Grundrauschen eines zunehmend rassistisch gefärbten Italien: Scollo fasst hier die erschöpfte Klage aus den Versen von Sebastiano Burgaretta in eine an die Nieren gehende musikalische Lamentatio, eingeleitet durch die dunkle Farbe von Tara Boumans Klarinette.
Ausgesprochen hilfreich, dass im Booklet die deutschen Übersetzungen abgedruckt sind. Vertont ist das alles mit höchster Sensibilität. Karge akustische Arrangements finden zusammen mit Scollos enorm einfühlsamer Stimme.
Etta Scollo: „Il passo interiore“ ist auf dem Label Jazzhouse Records erschienen.