„Jazz ermöglicht mir eine besondere Perspektive“: Matthias Vogt im Interview

„Jazz ermöglicht mir eine besondere Perspektive“: Matthias Vogt im Interview

Es war ein Spätherbst irgendwann Mitte der 2000er, als mir das Album „Changing Colours“ des Matthias Vogt Trios in die Hände fiel. Ich war mitten im Studium, doch die CD versüßte mir einen ganzen Winter lang das Lernen. Seitdem habe ich mehr und mehr von Matthias Vogt gehört, von den Anfängen mit [re:jazz] bis hin zur Impro-Band A Coral Room.

Vor wenigen Monaten veröffentlichte der Weltbürger Matthias Vogt, der seine Wurzeln im Rhein-Main-Gebiet hat, seine EP „Seven Summits“ auf dem Londoner Deep House-Label Anjunadeep. Darauf zu hören: Minimalistischer, innovativer und sehr melodiöser House. Und die jüngste Veröffentlichung soll erst der Anfang sein. Denn bei der neuen Serie geht es um nicht weniger, als die Essenz des Sounds von Matthias Vogt. Ohne Schnörkel, ohne Kompromisse. Grund genug für ein Interview mit dem Mann, dessen Tag irgendwie mehr Stunden zu haben scheint als meiner. Und der nach all den Jahren zwischen Jazz, House, Techno und Funk seinen Fokus nicht verloren hat – ganz im Gegenteil!

FLieber Matthias! Starten wir das Interview doch gleich mal mit einer Grundsatzfrage: „Jazz oder Elektro – was magst Du lieber?“

AAlso zunächst mal ist „Elektro“ für mich kein Genre. Nenn mich oldschool, aber bei „Elektro“ denke ich an Musik aus Detroit unter dem Einfluss von Kraftwerk. Und elektronische Musik und Jazz, das ist doch längst auch zusammen gewachsen. Schau Dir mal Bugge Wesselthoft oder Nils Petter Molvaer an. Oder natürlich auch mein Projekt A Coral Room. Für mich ist das zunächst mal Musik. Denn: Wenn ich mir selber Grenzen setzen würde, könnte ich sie niemals überschreiten – und das würde mich einengen.

FMit Deinem Trio hast Du Dich dem Jazz verschrieben – Euer Album „Changing Colours“ hat mich mal einen ganzen Winter lang bestens unterhalten – [re:jazz] war dann schon eine Spur progressiver – und jetzt machst Du melodischen Deep House. Welche Musikstile nimmst Du Dir als nächstes vor?

AViel zu viele! (lacht) Neben meiner Musik als Matthias Vogt, die ja doch eher im „House-Universum“ verortet ist, mache ich noch eine ganze Menge anderer Dinge. Neuerdings spiele ich als Keyboarder in der Band KC’s Soul Flight. Natürlich gibt es auch weiterhin [re:jazz] und mein Trio. Mit A Coral Room wird frei improvisiert, mit The Pinocchio Theory spiele ich Funk mit mächtig Patina. Und als Mias Void gibt es Techno auf die Ohren. Hab ich was vergessen? Gut möglich… Aber mein Fokus liegt derzeit schon klar auf Matthias Vogt und (Deep) House. Danke übrigens für das Lob zu „Changing Colours“! Kennst Du den Nachfolger, „Coming Up For Air“?

FErtappt! „Coming Up For Air“ kenne ich tatsächlich noch nicht! Aber zurück zu Deinen vielen Projekten: Was genau macht für Dich den Reiz aus die Genres zu mischen?

AWas wäre die Antithese? Etwas innerhalb eng gesteckter Grenzen zu tun, was ziemlich sicher andere schon weit besser auf den Punkt gebracht haben? Musik entwickelt sich nur weiter, wenn sie über den Tellerrand blickt. Jazz zum Beispiel wäre nie entstanden, wenn es nur Puristen gegeben hätte. Und das gilt eigentlich für jegliches Genre. Es ist doch immer erst etwas Neues da – und dann jemand, der überlegt, wie man das bezeichnen könnte. So gesehen ist es die Aufgabe des Künstlers, etwas Neues zu erschaffen und die Aufgabe des Journalisten, dem Kind einen Namen zu geben! (schmunzelt)

FOkay. Dann überlege ich mir mal nen Vorschlag für den Deep House, den es auf Deiner jüngsten EP „Seven Summits“ zu hören gibt! Ziemlich frische House-Sounds für ein Genre, dem Kritiker schon öfter mal eine gewisse Monotonie nachsagen. Woher nimmst Du die Inspiration oder besser gesagt den „Antrieb“, neue Wege zu gehen?

AErstmal vielen Dank! Und House selbst hat ja die Monotonie zur Kunst erhoben, im Sinne des Zelebrierens des Repetativen, von daher muss das ja nichts Schlechtes sein. Ich würde sagen, meine Erfahrung und Sicht des Jazzpianisten ermöglicht mir definitiv eine besondere Perspektive. Meine Herangehensweise an einen House-Track ist sicherlich anders als bei anderen Produzenten. Ich mache das ja auch schon ’ne Weile, und tatsächlich ging das bei mir ziemlich gleichzeitig los, mit dem DJ-Ding, und dem Jazz spielen. Ansonsten muss man sich vor Augen halten, dass Jazz früher originär auch Tanzmusik war. Ich habe mich schon immer für die Musik des Hier und Jetzt interessiert. Deswegen habe ich beispielsweise nach dem Jazzstudium das Spielen der üblich verdächtigen Jazzstandards schnellstmöglich wieder abgelegt. Auf der Suche nach einer eigenen musikalischen Sprache passierte dann [re:jazz] – und das hat meinen Jazz- und elektronischen Weg auf ungeahnte Weise zusammengeführt. Diesen Blick habe ich mir bis heute erhalten. Meine Produktionen für Anjunadeep sollten insbesondere diesen ureigenen Sound definieren und ausarbeiten.

F„Seven Summits“ war ja erst der Anfang – wie geht Deine „Amour Fou“ mit dem Deep House weiter? Und: Wo und wann kann man Dich live erleben?

ADas ist schon eine echte Liebe mit mir und dem House. Eine „Amour Fou“ hat ja immer etwas unmögliches, tragisches, das ist aber in meinem Falle anders. Und das kommt ja auch nicht aus dem luftleeren Raum. Ende der 90er startete ich als DJ Matt bei Force Inc und Infracom. Weiter ging’s als Motorcitysoul. Seit einigen Jahren produziere ich jetzt solo unter bürgerlichem Namen, es gibt Matthias Vogt EPs bei Label wie Large, Komplex De Deep, Urbantorque, Lazy Days, Polytone… Und Remixes sind auch eine Lieblingsdisziplin von mir. Weiter geht’s mit weiteren Releases bei Anjunadeep aus London. Da steht im März jetzt „Matters“ an, eine schöne Vocal-Nummer, die ich zusammen mit Phil Fill aus Darmstadt geschrieben habe. Dazu wird es schöne Mixe von El Txef A und Tom Middleton geben. Kommt Digital und auf Vinyl. Als DJ hört man mich in Rhein-Main beispielsweise am 10. März und 9. April im Silbergold Frankfurt. Dort habe ich meine eigene Reihe namens „Zimt“. Ich bin aber auch am 8. April im Gebäude 27 in Mainz oder im Hafen 2 Offenbach. Meine Facebook-Seite gibt Auskunft!

FLetzte – vielleicht ein bisschen philosophische – Frage: Wenn Du in zwölf Monaten auf das Jahr 2016 zurückschauen wirst – was würdest Du dann gerne darüber sagen?

AMeine Wunschvorstellung auf politischer Seite wäre, dass wir Mut haben, konstruktiv und hilfsbereit zu sein – und nicht in Hysterie und Negativität verfallen. Und: Wir brauchen neue Ideen, wie wir mit unserem Planeten umgehen – wir haben nur diesen einen! Auf persönlicher Seite: Es klingt floskelhaft, aber Gesundheit, Glück und die Möglichkeit, meine Musik zu den Leuten zu tragen – das ist es was ich mir wünsche. Für 2016 und darüber hinaus. Auf musikalischer Seite: Es gibt neben all den schrottigen und letztlich unwichtigen Dingen so tolle Musik. Allen die dafür sorgen, dass es sie gibt, wünsche ich viel Erfolg und langen Atem. Ach ja: Und schön wäre es auch, wenn es eine faire Möglichkeit gäbe, für seine Musik bezahlt zu werden in Zeiten von Streaming und Co! Ich warte mit Engelsgeduld auf eine Einigung zwischen Youtube und der Gema. Das alles ist eine riesige Baustelle, und zwar auf Kosten der Musikproduzenten. In diesem Sinne: Peace! (schmunzelt)

Lieber Matthias, weiterhin viel Kreativität, Inspiration und Erfolg für all Deine Projekte! Und: Tausend Dank für das spontane Interview!

Foto: Mario Andreya

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