Electri_City: Als Düsseldorf Popgeschichte schrieb

Electri_City: Als Düsseldorf Popgeschichte schrieb

Es gibt Städte, die assoziiert man sofort mit Musik. Memphis/Tennessie etwa, die Motown City Detroit, New Orleans mit Jazz, Chicago mit Blues, Liverpool mit Beatles & Co und so weiter. Düsseldorf besitzt auch so ein musikalisches Erbe, das aus den 70er und Anfang der 80er Jahre stammt.

Als Electri_City – als Synonym für Elektronische Musik – galt die NRW-Metropole lange Zeit. Diese glorreichen Jahre ruft ein sehr erhellendes Buch und eine authentische CD in Erinnerung.

Hier in Düsseldorf schraubte „Kraftwerk“ im legendären Klingklang-Studio an Klassikern wie „Autobahn“ oder „Wir sind die Roboter“, hier schuf „Neu!“ den Motorik Beat, hier brachte „DAF“ den Sequenzern das Schwitzen bei. Rüdiger Esch, selbst Düsseldorfer und als Mitglied von „Die Krupps“ Teil der damaligen Szene, beleuchtet deren Entwicklung von den Anfängen um 1970 bis zum Ende der analogen Phase um 1986 in dem Band „Electri_City“.

Hier an der kleinen Düssel fing alles an, schreibt Wolfgang Flür (auch in der Szene aktiv) im Vorwort. Die Quelle der elektronischen Musik war hier. Und der erste Höhepunkt war wohl die Veröffentlichung von „Autobahn“ im Jahre 1974. Es war die Zeit der ersten Synthesizer. „Wir wollten der anglo-amerikanischen Musikübermacht etwas entgegensetzen“, erläutert Flür. Es waren die Tage des Krautrock, der kosmischen Musik, des Progrock. Aber auch die Tage der Außerparlamentarischen Opposition, der langen Haare, der psychedelischen Drogen und der Anti-Baby-Pillen. Düsseldorf stand plötzlich im Zentrum der deutschen Popgeschichte. Und auch die Kunstszene um Joseph Beuys, die florierende Mode- und Werbeagenturszene sorgten für ein entsprechendes Klima. In Eschs Buch kommen Techno- und Elektro-Pioniere wie Kraftwerk, Neu!, DAF, Der Plan, Die Krupps zur Sprache.

Es sind Zeitzeugenaussagen und von Esch geführte Interviews mit den damals Beteiligten. Seine Oral History aus lose zusammen gestellten O-Tönen und Zitaten über die Düsseldorfer Popszene ist gut recherchiert und ausbalanciert zwischen Selbstbeweihräucherung und Selbstkritik. Das liest sich authentisch, vor allem, da der Autor als Mitglied der Krupps selber Teil der Szene war. Ein wenig erinnert Eschs Interview-Band an den 2001 erschienenen „Doku-Roman“ von Jürgen Teipel „Verschwende Deine Jugend“, der die bundesrepublikanische Punk- und New Wave-Szene in den Fokus stellt. Zurück zu den wilden Düsseldorfer Jahren. Als Aushängeschild firmiert natürlich die Gruppe Kraftwerk. Die Band, die mit Jazzrock begann und sich dann dem elektronisch-minimalistischen Pop-Song zuwandte, hat es als einzige Düsseldorfer Formation zu weltweiter Bedeutung gebracht. Kraftwerk gilt als der Urknall von Elektro-Pop und Techno. Doch auch andere Bands wie „Neu!“, „La Düsseldorf“, „Rheingold“ und „Deutsch-Amerikanische Freundschaft“ (DAF), „Der Plan“, „Die Krupps“ und „Propaganda“ und ihre Protagonisten kommen in dem Band vor.

wgm_electri_city_buchDa Esch, Bassgitarrist der Krupps, einst mit dem zeitweiligen Kraftwerk-Drummer Klaus Dinger (er starb 2008) in einer Band spielte, konnte er viele Interna derjenigen Gruppen in Erfahrung bringen, die Dinger nach seinem flüchtigen Kraftwerk-Intermezzo aus der Taufe hob. Daraus entstanden viele Interviews mit mehr oder weniger bedeutenden Akteuren, die collagenhaft zusammengefügt und chronologisch geordnet werden. Insgesamt waren es rund fünfzig Zeitzeugen, die aus dem Nähkästchen plauderten. Schlussendlich erwächst so mosaikartig die bunte Historie der Düsseldorfer Pop-Szene von 1970 bis 1986 in Augenzeugenberichten, wobei jedem Jahr ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Da findet sich so manche aufschlussreiche Episode, die tiefe Einblicke in die damalige Zeit gewährt. Fakt ist: Ohne Düsseldorf in den 70er Jahren kein Techno, kein Ibiza, keine Clubmusic und keine Love Parade.

Insgesamt also ein lesenswertes Stück Pop-Zeitgeschichte, authentisch aufgearbeitet – mit kleinen Schönheitsfehlern zwar (nicht alle erwähnten Daten stimmen) -, aber dennoch Pop-geschichtlich wertvoll. Dazu die gute Auswahl an Musik auf der CD „Electri­_City „Elektronische_Musik_aus_Düsseldorf“, die die Texte im Buch trefflich ergänzt.

Rüdiger Esch: Electri_City – elektronische Musik aus Düsseldorf 1970 bis 1986, Suhrkamp-Verlag, 460 S., 14,99 Euro.

Die CD „Electri­_City“ mit 13 Titel von 13 Bands passend zum Buch ist bei Grönland erschienen.

Schreibe einen Kommentar