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Ein Jahrhundertwerk: Vor 50 Jahren erschien John Coltranes Album „A Love Supreme“
Ein Jahrhundertwerk: Vor 50 Jahren erschien John Coltranes Album „A Love Supreme“
Es war einer dieser magischen Momente, die Seltenheitswert haben. Vor genau 50 Jahren spielte der schwarze amerikanische Saxofonist John Coltrane sein legendäres Album „A Love Supreme“ ein. Die viersätzige Suite hinterlässt bis heute ihre Spuren. Sie dokumentiert, dass 33 Minuten vollauf genügen, um Wesentliches auszudrücken. Und das mit möglichst geringen Vorgaben. Als Coltrane am 9. Dezember 1964 bei Rudy van Gelder im Studio erschien um mit seinem Quartett eine unkonventionelle Einspielung zu wagen, brachte er nur wenige Materialien mit, an denen sich Pianist McCoy Tyner, Bassist Jimmy Garrison und Schlagzeuger Elvin Jones orientieren konnten. Die Aufnahme war zweifellos in vielerlei Hinsicht ein Experiment. Vorgegeben waren die viergliedrige Suite-Struktur, der spirituelle Impetus und ein paar Motiv- und Ablaufskizzen. Das war’s. Heraus kam einer der Glücksgriffe der Jazzgeschichte. Das Quartett bewies einmal mehr, dass es in der Lage war, die kollektive Energie in gebündelte, kompakte Kreativität zu verwandeln. Das Album wurde vom Fleck weg bejubelt und ein Bestseller, zumindest nach Jazzmaßstäben. 1970 wurde das Werk mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Aber viel wichtiger war die tiefgreifende Wirkung, die „A Love Supreme“ auf viele Jazzmusiker und später auch Rockmusiker hatte wie zum Beispiel auf den Fusionspezialisten John McLaughlin oder den Rockgitarristen Carlos Santana.
Was ist so magisch an diesem Album? Zu Beginn ein gewaltiger Beckenschlag, laut wie ein Donner, der einem Blitz vorausgeht. Gänsehautgefühl stellt sich ein. Dann das nasale Tenorsaxofon quasi als Fanfare über die Klavierakkorde von Tyner, später dann Coltranes Stimme, nur vier Silben „A Love Supreme“. Alles gewaltig und dennoch würdevoll. Coltrane wechselt die Tonart, ein Bluesmotiv, ein Riff. Mit tiefer Stimme wiederholt er seine Botschaft „A Love Supreme“. Ein einziges Wechselspiel von Spannung und Entspannung. Mit diesem musikalischen Gebet wollte Coltrane etwas Unerhörtes schaffen, eine Suite zur Ehre Gottes. „All praise be to God to whom all praise is due“, schreibt Coltrane auf der Schallplattenhülle. Die Platte sei sein Versuch, Gott zu danken. Dafür, dass Gott ihm Erleuchtung gab, um sich von Alkohol und Heroin zu lösen und wieder ganz der Musik zu widmen. Diese Suite von 33 Minuten Länge wurde zur unwiederholbaren musikalischen Eucharistie-Feier.
Es stimmt einfach alles: die unterschiedlichen Stimmungen des Saxofons, Tyners rasende Pianoläufe und gewaltigen Blockakkorde, Garrisons ruhig strukturierter Bass und Jones’ facettenreiches Schlagzeug – und immer wieder diese hymnischen Phrasen des Saxofons.
Kritiker und Fans waren und sind sich bis heute einig: Dieser Mann hat das musikalische Universum des Jazz weiträumiger abgeschritten als irgendjemand vor oder nach ihm.
Seine Soli waren das technisch Avancierteste, das die Zeit je gehört hatte, das Publikum saß fassungslos da, kam aus dem Staunen nicht heraus.
Eine musikwissenschaftlich versierte Hörerin transkribierte ein Solo und legte es Coltrane später mit der Bitte vor, es für sie vom Blatt zu spielen. Coltrane studierte die Noten und reichte sie zurück mit den Worten: „Tut mir leid, das ist zu schwer“.
Er sei „der totalste Improvisator der Jazzgeschichte“, schrieb der amerikanische Kritiker Don Heckman, und der Franzose André Hodeir vermerkte, für den Jazz sei jede neue Coltrane-Platte etwa das gleiche, was die Premiere eines neuen Werkes von Boulez oder Stockhausen in der Konzertmusik sei.