Archivfund: Keith Jarrett spielt Carl Philipp Emanuel Bach

Archivfund: Keith Jarrett spielt Carl Philipp Emanuel Bach

Schon als kleines Kind spielt Keith Jarrett nach dem Gehör Melodien auf dem Klavier, später brilliert er mit frei improvisiertem Jazz oder klassischer Musik. Sein „Köln Concert“ von 1975 ist legendär und mit vier Millionen Exemplaren das meistverkaufte Jazz-Soloalbum der bisherigen Geschichte. Außerdem auch die meistverkaufte Klavier-Soloplatte aller Genres. Sein Biograph Wolfgang Sandner nennt ihn den „größten Klavier-Improvisator unserer Tage“. Für viele Konzertbesucher ist ein Konzert von Jarrett auch eines der begehrtesten Live-Events. Zumindest war es das, bis Jarrett aus gesundheitlichen Gründen seit dem Frühjahr 2018 nicht mehr auftrat. Keith Jarrett ist vielen als früherer Pianist in Miles Davis’ Elektro-Funkband bekannt. Kenner schätzen aber vor allem seine Solowerke und -konzerte. Spiritualität und Transzendenz ziehen sich wie ein roter Faden durch seine musikalische Identität.

Das Label ECM hat jetzt eine Jarrett-Perle aus dem Archiv ans Licht geholt. Keith Jarrett spielt Carl Philipp Emanuel Bach, den zweiten überlebenden und zweifellos berühmtesten der Bach-Söhne.​ Seine sechs Württembergischen Sonaten wurden in den frühen 1740er-Jahren komponiert und 1994 von Jarrett aufgenommen.​ ECM veröffentlicht die Aufnahme jetzt zum ersten Mal.​ Es sind zwei CDs wie gemacht für diese unsäglichen Zeiten.

Die Sonaten sind – wie beinahe der ganze Rest des Werks des Klavierpioniers – eine Randerscheinung im klassischen Repertoire geblieben. Im Fall von Carl Philipp Emanuel Bach lag es auch daran, dass Pianisten die Sonaten des Hofcembalisten gern den Cembalisten überließen, als hätten sie mit ihnen nichts zu tun. Keith Jarrett, die Goldberg Variationen und beide Bände des Wohltemperierten Klavier hatte er auf dem Höhepunkt seiner klassischen Phase auf dem Cembalo eingespielt, kannte Cembalo-Varianten der sorgfältig in Moll und Dur geteilten sechs Sonaten Carl Philipp Emanuels. Er fand, da müsse mehr gehen. Und setzte sich 1994 (im Jahr, in dem er Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen aufnahm) in den Cavelight Studios von New Jersey an den Flügel mit den Württembergischen Sonaten, vor die Mikrofone von Manfred Eichers ECM-Label.

Dass der Mitschnitt erst jetzt, drei Jahrzehnte später und Jahre nach dem krankheitsbedingten Ende von Jarretts Karriere herauskommen, ist mindestens so rätselhaft wie wunderbar. Warum die Aufnahme so lange zurückgehalten wurde, darüber kann man nur spekulieren. Fakt ist: mit diesem Album beginnt Keith Jarretts Nachlass zu Lebzeiten.

Keith Jarretts Interpretation von Carl Philipp Emanuel Bachs Württembergischen Sonaten ist eine weitere bedeutende Entdeckung im musikalischen Kosmos dieses Ausnahmepianisten. In dieser herausragenden Aufnahme aus dem Jahr 1994 spürt der Pianist jeden Moment dieser expressiven Musik mit sicherem Gespür nach.

Keith Jarrett: Carl Philipp Emanuel Bach – „Württembergischen Sonaten“ Wq.49 Nr.1-6 sind bei ECM New Series erschienen.

Tagged under:

, ,