Etta Scollo überrascht mit feinsinnigen Liedern
Etta Scollo überrascht mit feinsinnigen Liedern
Von vielen italienischen Kritikern als „Stimme Siziliens“ gefeiert, hat Etta Scollo auch in Deutschland für Aufsehen gesorgt. Die gebürtige Sizilianerin hat sich in ihrer Wahlheimat Berlin ganz dem italienischen Chanson der 30er bis 60er Jahre verschrieben. Nach einer Ausbildung in Gesang und Tanz am Konservatorium Wien, gewann Etta Scollo den ersten Preis beim Diana Marina Jazzfestival und erlebte den Startschuss für ihre Karriere. Diese wird immer mehr geprägt von Etta Scollos Melange aus Musik, Literatur und Dichtung.
Mit ihrem neuen Opus „Ora“ gibt Scollo eine musikalisch vielschichtige Antwort. Sie begnügt sich nicht mit einfachen und bequemen Phrasen. Hält die dramaturgische Spannung hoch, in dem sie mit jedem Stück von Neuem überrascht. Und hat so in ihrer ersten Heimat Catania mit dem Starproduzenten Taketo Gohara ein Album geschaffen, das poetisch und politisch berührt und mehr ist als ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Musikalisch fasst „Ora“ ein ganzes Universum zusammen: Es gibt ganz schlichte Stücke nur mit Gitarre. Töne aus der Tradition Siziliens, wirbelnden Walzer und ironische Sechsachtel-Takte. Es gibt feinsinnige Streicher, ein inniges Treffen von Blaskapelle und Renaissance-Chor, oder auch mal elektronische Texturen: „Jedes Setting steht für einen Moment, der in meinem Leben einmal wichtig war“, betont Scollo. Aus diesen ganz diversen Farben gruppiert Taketo Gohara eine spezielle Dramaturgie. Sein Ziel ist es, die Lieder nicht in einem „angenehmen Flow“ zu bündeln, sondern Kanten zwischen den Kompositionen zu verursachen, Brüche zuzulassen.
„Ich stehe auf, ich stehe aufrecht, meine Hand arbeitet, begleitet, ein Lied über konkrete Dinge, erlebt und sofort wiedergeboren. Es ist Zeit zu sein – jetzt, jetzt, jetzt…“, singt Etta Scollo im abschließenden Titelstück von „Ora“. Der Pulsschlag der Worte kommt einmal mehr von sizilianischen Poeten, die Scollo so verehrt. Da ist der Nobelpreisträger Salvatore Quasimodo, der in „Alle Fronde Dei Salici“ davon erzählt, wie aus Trauer über die deutschen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg die Musiker ihre Instrumente an die Bäume hängen. Etta Scollos Vertonung ist eine schockhafte Antwort auf den ersten Tag des Angriffskrieges auf die Ukraine. Da ist Ignazio Buttitta, den sie wegen seines politischen Engagements für die Sprache schätzt: In „Lingua e Dialettu“ setzt sie mit der Metapher der Muttermilch seine starken Bilder von Identität und gegen die Anonymisierung der Sprache in Töne. Franco Scaldati, den Freund, sanften Theatermann und Nachtmenschen ehrt sie in „A Notti u rici o jornu“. Nur mit einer von ihr selbst geschriebenen Streichertextur entwirft sie eine nocturne Szenerie, in der sich vor den eigentlichen Menschen ihre Schatten treffen.
Als Gast überrascht die deutsche Schauspielerin Hanna Schygulla, eine enge Freundin Scollos. Mit ihr gestaltet sie das bittere Brecht/Eisler-Stück „Von der Freundlichkeit der Welt“: „Das Kind ist vom Vater verlassen bei Brecht, es ist eine Kriegssituation, und trotzdem wollen die Frauen das Gefühl geben, dass sie in die Arme nehmen. Hanna beginnt danach mit ihrer schönen dunklen Stimme das sizilianische Wiegenlied ‚Avò‘ zu singen: Das ist wie ein Licht am Ende des Tunnels.“ Und schließlich, auch mit Bildern der Mutter-Kind-Thematik, ein weiterer Scollo-Text, die „Fuga In La Minore“: Mit musikalischen Vokabeln erzählt sie von der Flucht. Und sie begegnet der heutigen Migrationsrealität mit einer bitteren Ironie. Fazit: Mit „Ora“ hat die sizilianische Sängerin mit dem Starproduzenten Taketo Gohara ein Album geschaffen, das poetisch und politisch berührt. Es überzeugt auf der ganzen Linie mit tiefsinniger, engagierter Poesie.
Etta Scollo: „Ora“ ist auf dem Label Jazzhaus Records erschienen.