Klangabenteuer eines musikalischen Zugvogels

Klangabenteuer eines musikalischen Zugvogels

Business as usual  gibt es bei Stephan Micus nicht. Das Attribut „Multi-Instrumentalist“ bekommen viele begabte Musiker. Sicher nicht zu unrecht, doch bei keinem ist es wohl zutreffender als bei Stephan Micus. Sein Leben lang schon bereist er die Welt, um neue, noch nie gesehene und gehörte Instrumente zu entdecken. Und dann lernt er sie zu spielen. Und so geht sein neues Werk „Winter’s End“ wieder an neue Grenzen und präsentiert zwei zuvor ungehörte Instrumente.

Das Leitmotiv für seine neue Platte ist einem japanischen Gedicht von Murakami Kino (1865-1938) entlehnt. „Für einen Musiker oder bildenden Künstler ist es sehr wichtig, sich seine kindliche Natur zu bewahren. Natürlich macht es mehr Spaß, im tiefen Schnee zu laufen als auf einer asphaltierten Straße. Das ist etwas, das ich versuche, ins tägliche Leben einfliessen zu lassen“, sagt Micus. Und in seine Musik. „Winter’s End“ ist bereits sein 24. Album für ECM Records. Damit dürfte er alleiniger Rekordhalter sein. Jedes dieser Alben klingt nach Micus, und doch immer anders. Auf „Winter’s End“ setzt er elf verschiedene Instrumente aus zehn Ländern ein.

Der 68-jährige Stephan Micus ist ein Ein-Mann-Klanguniversum. Er sammelt und studiert Instrumente aus aller Welt und kreiert mit ihnen seine eigenen musikalischen Reisen. „Winter’s End“ entstand in seinem Studio mit vielen Aufnahmen und Overdubs. Die zwölf Tracks enthalten zwei neue Instrumente, das Chikulo aus Mosambik und eine Zungentrommel im zentralafrikanischen Stil. Hinzu kommen Kalimba (Daumenklavier), Sinding (gambische Harfe), ägyptische Nay-Flöte, japanische Nohkan-Flöte, balinesische Suling-Flöte, gestrichene Sattar aus Sinkiang, tibetische Becken, peruanischer Charango und eine 12-saitige Gitarre. Die meisten von ihnen sind noch nie zusammen erklungen.

Es ist der holzige und surrende Klang des Chikulo, der das Album eröffnet, aber die meiste Zeit setzt Micus es ohne die surrenden Membranen ein, um einen reineren Klang zu erzeugen. In „Autumn Hymn“, dem Eröffnungsstück, ist neben drei Chikulo auch eine japanische Nohkan-Flöte zu hören, die traditionell im Noh-Theater verwendet wird. Während das Chikulo einen erdigen Klang hat, wirkt die Nohkan geradezu himmlisch und so  herrscht hier eine natürliche Harmonie zwischen Erde und Himmel.

Das andere Instrument, das Micus zum ersten Mal einsetzt, ist die Zungentrommel. Er hat sie vor 40 Jahren selbst gebaut, indem er nach Vorbildern in Zentralafrika zungenförmige Stücke in den Deckel einer Holzkiste sägte. In den Stücken „The Longing of the Migrant Birds“ und „Sun Dance“ lassen einen die Stimmen, die eine Fantasiesprache singen, und die perkussiven Klängen der Zungentrommel und des Chikulo die Weite der Savanne erahnen. Im dritten Stück verspürt man eine Art Sehnsucht zu reisen und mit dem vierten Stück, „Baobab Dance‘, sind wir in Afrika angekommen. Mein absoluter Anspieltipp unter den 12 Titeln ist das andächtige „Sun Dance“. Dies ist Musik, die es nie zuvor so gegeben hat und so wohl kaum wieder geben wird. Ein Unikat eben. Das gleiche gilt für ihren Schöpfer.

Stephan Micus: „Winter’s End“ ist auf dem Label ECM erschienen

Tagged under:

,