Rava und Lovano: Jazz von großartigen Musikern
Rava und Lovano: Jazz von großartigen Musikern
Eigentlich wollte er Dixieland-Posaunist werden. Doch dann hörte er Miles Davis und Chet Baker, stieg um auf die Trompete – und wurde zu einem europäischen Jazzweltstar. Am 20. August wurde der Italiener Enrico Rava 80 Jahre alt. Ein Mann mit langem Silberhaar, einem Schnurrbart und markant eckigen, schwarzen Augenbrauen. Jetzt ist ein neues Album von ihm erschienen. Zusammen mit Joe Lovano hat er „Roma“ eingespielt.
Obwohl beide schon seit Ewigkeiten zu den bewundernswerten Produktivkräften der internationalen Jazz-Szene zählen, sich auch schon lange kennen und gegenseitig wertschätzen, finden sich in ihren Biographien nicht allzu viele direkte musikalische Berührungspunkte. Umso spannender ist nun dieser Konzertmitschnitt vom 10. November 2018 aus dem Auditorium Parco della Musica in Rom, der eine erste gemeinsame Kurztournee des italienischen Trompeters Enrico Rava und des von sizilianischen Vorfahren abstammenden, in Cleveland geborenen und in New York lebenden Tenorsaxophonisten Joe Lovano auf eindrucksvolle Weise dokumentiert. Beiden gemeinsam ist das vom kreativen Aspekt her äußerst ergiebige Spannungsverhältnis zwischen einer umfassenden Kenntnis der Jazztradition und dem stets präsenten Wunsch, auf möglichst nicht ausgetretenen Pfaden musikalisches Neuland zu entdecken. Unter solchen Bedingungen fühlt sich aber auch der einfallsreiche und wendige Pianist Giovanni Guidi besonders wohl, der von Rava einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde und nun mit dem sehr erfahrenen und dynamischen Drummer Gerald Cleaver und dem vielbeschäftigten und in Jazz-Kreisen wegen seiner kraftvollen Virtuosität hoch gehandelten jungen Kontrabassisten Dezron Douglas eine formidable Rhythm Section für dieses Quintett-Projekt zusammengestellt hat. Da sprühen die Funken und es wird facettenreich und experimentierfreudig zur Sache gegangen. Über allem schwebt dabei die elegante Coolness und das kraftvolle Feuer von Ravas Flügelhorn-Ausflügen. Dabei ist der Mann dieser Tage 80 Jahre alt geworden. Joe Lovano seinerseits schöpft die expressiven Möglichkeiten des Tenorsaxofons auf gewohnt beeindruckende Weise aus. Rava hat mit „Interiors“ und „Secrets“ zwei komplexe, mit überraschenden Wendungen gespickte Kompositionen ausgesucht, die ebenso wie Lovanos „Fort Worth“ und das eigens für dieses Projekt komponierte „Divine Timing“ allen Beteiligten viel Raum zur Entfaltung lassen. Als Abschluss gibt es noch ein dreiteiliges, achtzehnminütiges Medley: Zunächst stellt Lovano in seinem „Drum Song“ seine Meisterschaft auf der ungarischen Tárogató, einer Art hölzernem Saxofon, unter Beweis, um sich dann zurück am Tenor mit Rava und Guidi in ausdrucksstarken Improvisationen über Coltranes „Spiritual“ auszutoben, ehe der Pianist das ekstatische Geschehen mit einer zarten und leisen Rhapsodie über den unverwüstlichen Evergreen „Over The Rainbow“ ausklingen lässt. Fazit: Großartiger Jazz von großartigen Musikern.
Enrico Rava/Joe Lovano: „Roma“ ist auf dem Label ECM erschienen.