The Gloaming: Entschleunigung des Irish Folk
The Gloaming: Entschleunigung des Irish Folk
Das dritte Album des weltweit anerkannten Ensembles The Gloaming (zu Deutsch Zwielicht), produziert von Thomas Bartlett wurde in den New Yorker Reservoir Studios aufgenommen. Wie seine Vorgänger wirft auch „The Gloaming 3“ einen fantasievollen Blick auf traditionelle, irische Musik. Allerdings, und das ist neu, wird hier eine starke Verbindung gesucht mit Elementen aus Post-Rock, Jazz, zeitgenössischer klassischer Musik, Kammermusik und Minimalismus. Hier wird der Folk quasi seziert. Das bedeutet, keine anzüglichen Trinklieder, keine verschwitzten Tänze in überfüllten Pubs. Trotz ihrer tiefen Verwurzelung in der irischen Musik, bürstet die Band die alten Celtic-Folk-Traditionen ordentlich gegen den Strich. Für Nostalgie ist in der Musik dieser 2011 gegründeten irisch-amerikanischen Supergroup absolut kein Platz. Während der beseelte Gesang von Iarla Ó Lionáird aus der reichen irischen Literatur schöpft, setzen das minimalistisch-elegante Piano des New Yorkers Thomas Bartlett und die fast psychedelischen Drone-Sounds von Caoimhin Ó Raghallaigh an der acht- bis neunsaitigen norwegischen Hardanger Fiddle ungewöhnliche Kontrapunkte. Komplettiert wird die Band von dem renommierten Irish Folk-Geiger Martin Hayes als musikalischem Zentrum sowie dem perkussiven, pointierten Spiel von Gitarrist Dennis Cahill. Bartlett hat in den vergangenen Jahren als Produzent und Begleiter für Acts wie The National, Sufjan Stevens, Rhye, Yoko Ono, Joan as Policewoman und Anna Calvi gearbeitet.
In einem Wechselspiel zwischen den Live-Auftritten und Studio-Sessions entstanden die ersten beiden Alben. Nummer drei ist jetzt ganz anders, hat einen roten Faden. Es geht The Gloaming diesmal um das Ritual des Todes und des Lebens. Neue Lyrik des irischen Poeten Liam Ó Muirthile – geschrieben wenige Wochen vor seinem Tod im Mai 2018 – sorgt ebenso für die Texte wie alte Volkslieder über das Trauern und Loslassen.
Die Arbeit des irisch-amerikanischen Ensembles verfolgt dabei eine neue Folk-Philosophie. In großen Spannungsbögen unterziehen die Musiker das traditionelle Material einer geradezu zenhaften Betrachtung. Ihre entschleunigten Instrumentalstücke paaren sich mit gälischen Texten aus verschiedenen Jahrhunderten. Kontemplation statt Schnelligkeitsrausch heißt die Devise. Ein weiteres: Improvisation ist dabei ganz zentral. Und die Entdeckung der Langsamkeit spielt ebenfalls eine große Rolle.
Als The Gloaming vor acht Jahren auf der Bildfläche auftauchten, da fühlte sich das seltsam an: Vier Folk-Stars aus Irland und den USA, die mit einem Bein fest verwurzelt sind in den Traditionen gälischer Musik und mit dem anderen Bein schon seit Jahren neues Land suchten; die Steve Reich hörten, Arvo Pärt und den Postrock von Tortoise oder Sigur Rós. Seit acht Jahren hinterlässt das Quintett tiefe Spuren, spielt heute weit über die Heimat-Insel hinaus in den größten Hallen. Auffällig sind die stets leuchtenden Harmonisierungen auf Gitarren und Klavier. Wenn rasante Virtuosität tatsächlich mal ins Spiel kommt, wird sie von langer Hand in dramatischer Steigerung vorbereitet. Wie sieht ein Fazit aus, das dieser Band gerecht wird: diese Musik ist bleibend, hat nichts Modisches oder Aufgesetztes. Absolut hörenswert!
The Gloaming: „The Gloaming 3“ erscheint beim Label Real World Records