Keith Jarrett mit einem magischen Solo-Konzert
Keith Jarrett mit einem magischen Solo-Konzert
Leidenschaft und Abstraktion bestimmten immer Keith Jarretts musikalisches Schaffen. Er ist ohne wenn und aber einer der großartigsten Improvisatoren im Jazz. Seine rhythmischen und melodischen Einfälle waren und sind unerschöpflich, seine Technik brillant.Und dennoch ist er bis heute der rastlose Sucher nach dem perfekten Ausdruck in der Musik. Sein Auftritt in Venedig Ende September dieses Jahres war schon lange gebucht und Jarrett freute sich wohl auch darauf: Beim 62. Internationalen Festival zeitgenössischer Musik der Biennale hätte er den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk entgegennehmen sollen, als erster Jazzmusiker überhaupt, in einer Reihe mit Ikonen der zeitgenössischen Klassik wie Pierre Boulez, Steve Reich, Wolfgang Rihm, György Kurtag, Helmut Lachenmann oder Luciano Berio. Es wäre ein wichtiger Ritterschlag für den Amerikaner gewesen und die lang ersehnte Anerkennung aus dem Olymp der Klassik. Doch dann sagte Keith Jarrett alles ab, die Verleihung, das Konzert. Aber er bedankt sich nun öffentlich mit seinem „neuen“ Album „La Fenice“, einem kleinen Schatz aus seinem Archiv, das am Ort der Ehrung, nur eben zwölf Jahre zuvor aufgenommen wurde. Schon seit März 2018 war er nicht mehr aufgetreten, vermutlich ist er ernsthaft erkrankt.
Das Konzert aus dem Jahr 2006 ist einfach nur großartig. Es zeigt einen Musiker, der mit sich im Reinen ist und das ist bei Jarrett eigentlich eher selten der Fall. Oft genug waren es Stress, Leere, Zweifel, Zusammenbrüche, die sich mit unglaublichen Triumphen abwechselten. Private Tragödien, Krankheiten, Depressionen, das Sterben einer Beziehung, das Frischverliebtsein, all das ließ den inzwischen 73-Jährigen nicht zur Ruhe kommen.
La Fenice besteht zum Großteil aus einer achtteiligen Suite, die alles vom Blues bis zur Atonalität bereit hält. Zwischen dem sechsten und dem siebten Stück wechselt der Meister überraschend zu „The Sun Whose Rays (Are All Ablaze)“ aus Gilbert und Sullivans satirischer Operette The Mikado. Am Ende schenkt er seinem Publikum das Traditional „My Wild Irish Rose“, den Standard „Stella By Starlight“ sowie eine wunderbare Version von „Belonging“, das er bereits 1974 mit Jan Garbarek, Palle Danielsson und Jon Christensen aufgenommen hatte.
Wer Keith Jarrett begreifen will, den Mann, der einfach spielt, anstatt zu komponieren, der komponiert, anstatt zu denken, sollte sich sein Konzert aus dem größten Opernhaus Venedigs, dem Teatro La Fenice, genüsslich zu Gemüte führen. Es ist so detailreich und voll gestopft mit guter Musik, dass es eine Freude ist, sich näher damit zu beschäftigen.
Keith Jarrett: „La Fenice“ ist bei ECM/Universal erschienen.