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Mehr als Festival da Jazz: Das Engadin hat viel zu bieten
Mehr als Festival da Jazz: Das Engadin hat viel zu bieten
von Herbert Heil
Sommerzeit ist Urlaubszeit, auch für uns in der wegotmusic.de-Redaktion. Und so machten wir uns auf zu den Eidgenossen. Ja, die Schweiz sollte es diesmal sein, genauer, der größte Kanton das Landes, Graubünden, noch genauer, wir fuhren ins meist sonnensichere Engadin. Apropos Sonne. In Zürich war sie noch kurze Zeit da als wir mit unserem fast sieben Meter langen Wohnmobil an den Start gingen. Doch je weiter wir Richtung Bündner Herrschaft vordrangen, desto mehr verdunkelte sich der Himmel und zwar massiv. Alles grau in grau, dann setzte heftiger (Dauer-) Regen ein. Das wird wohl nichts mit wärmenden Sonnenstrahlen im Engadin, lautete die pessimistische Einschätzung.
Wir passierten Chur, die sehenswerte Kantons-Hauptstadt. Dann ging es bergauf. Der Regen ließ nach als wir Richtung Thusis abbogen und bald die Viamala-Schlucht erreichten. Ein Stopp der sich wirklich lohnt. Denn die Viamala, das beeindruckende Naturmonument mit bis zu 300 Meter hohen Felswänden wusste seit jeher zu faszinieren. So auch den Dichter Conrad Ferdinand Meyer. Zitat: „Als eine Welt der Willkür, des Trotzes und der Auflehnung kann diese Schlucht, wo rasende Fluten sich den Weg durch den Felsen bahnten, beschrieben werden“. Nicht weniger als 359 Treppenstufen führen hinab in die Tiefe, wo das Farbenspiel des Wassers, die Strudeltöpfe und die Felsformationen eine einzigartige Naturschönheit schaffen.
Heute ist die Viamala-Schlucht das touristische Aushängeschild und Namensgeber der Region am Hinterrhein und eine Top-Attraktion entlang der Grand Tour of Switzerland. Wer Zeit hat, sollte die atemberaubende Wanderung durch die Viamala-Schlucht unter die Sohlen nehmen. Sie führt auch über die Hängebrücke Punt da Suransuns. Nach soviel Natur und Naturgewalt machen wir uns auf den Weg in die raue Bergwelt. Nicht ohne Grund hat Graubünden den Steinbock im Wappen, der darauf hinweist, der größte Kanton der Schweiz liegt ganz und gar im Gebirge.
St. Moritz: Wiege des Wintertourismus
Unser Tagesziel ist das schicke, Glanz und Glamour verströmende St. Moritz. Der „schönste Aufenthalt der Welt“ sei St. Moritz, schwärmte schon Thomas Mann. Das war freilich, bevor die Reichen dieser Welt den Ort für sich entdeckt haben. Längst ist St. Moritz die Diva unter den Schweizer Skiorten. Der noble Ferienort gilt als Wiege des Wintertourismus und nennt sich selbst „Top of the World“. Nicht von ungefähr fanden hier 1928 und 1948 die Olympischen Winterspiele statt. Doch auch im Sommer lässt es sich hier und in der Umgebung gut leben und gut Urlaub machen. In St. Moritz soll an 322 Tagen im Jahr die Sonne scheinen. Wir haben wohl einen Tag erwischt an dem das gerade nicht der Fall ist. Der Regen gibt sich hartnäckig als wir am exquisiten, äußerst schön gelegenen Campingplatz Silvaplana ganz in der Nähe von St. Moritz ankommen. Eigentlich sollte man hier am Silvaplaner See die herrlichen Bergriesen Piz Corvatsch und Piz da la Margna (beide über 3.000 Meter) in ihrer weißen Pracht sehen können. Doch bis auf weiteres können wir deren Schönheit nur erahnen. Silvaplana, der bescheidene Nachbar von St. Moritz zwängt sich am Fuß des Julierpasses zwischen Gebirge und See und schaut auf den mächtigen Corvatsch gegenüber. Dort hinauf, auf 3.003 Meter Höhe, führt die höchste Bergbahn Graubündens. Der Berg ist ein Klassiker des Engadiner Skisports. Auch Freerider fühlen sich an seinen Hängen wohl. Am nächsten Morgen, nach Dauerregen in der Nacht und kühlen Temperaturen entsteigen wir dem wohlig beheizten Wohnmobil und der Blick auf die Bergmassive entschädigt wahrlich für das bislang schlechte Wetter. Was für ein Anblick!
Silvaplana Camping bietet Camping in bester Lage direkt am See, ein idealer Ort um zu entspannen. Top ist der Platz für Wassersport wie Windsurfen, Kiten und Segeln. Selbstverständlich auch bestens geeignet als Ausgangspunkt für ausgedehnte Wanderungen und Bike-Touren. Beispielsweise von Pontresina entlang der Seen (Stazersee, St. Moritzersee, Champferersee, Silvaplanersee). Für Geübte: Der Flow Trail oberhalb von St. Moritz lässt Bikerherzen höher schlagen. Und auch die Kiter werden am Silvaplanersee ihre Freude haben, wenn der Malojawind kräftig bläst. Besonders am frühen Nachmittag ist auf ihn fast stets Verlass.
Engadin: Hier kann man seine Batterien aufladen
Keine Frage: Im Engadin kann man seine Batterien wieder aufladen und die vom Wohnmobil sowieso. Neun der über 400 Campingplätze der Schweiz finden sich hier in einem der höchstgelegenen bewohnten Täler Europas. Mitten in einer alpinen Bilderbuch-Naturlandschaft liegt der Campingplatz Morteratsch, wenige Kilometer von Pontresina entfernt. Geprägt wird der einzigartige, weitläufige Platz von glasklaren Bergbächen, kleinen Seen, lichten Arven-Wäldern und einer atemberaubenden Aussicht auf die berühmten Gipfel des Berninamassivs. Näher zur Natur zu kommen ist kaum möglich. Alle Campingplätze der Gegend liegen auf über 1.800 Meter, das bedeutet gute Luft, grandiose Natur. Walter Bieri vom Schweizerischen Camping und Caravaning-Verband bringt es auf den Punkt: „Viele Campingplätze bei uns sind nicht parzelliert, was den ungezwungenen Charakter unterstreicht. Außerdem setzen wir weniger auf hypermoderne Wellnesseinrichtungen, dafür punkten wir mehr mit unseren natürlichen Gegebenheiten“. Wer will kann im Engadin bestens entschleunigen aber auch für aktive Zeitgenossen bieten sich Aktivitäten in Hülle und Fülle. Fast 600 Kilometer lang ist das Wanderwegenetz, die Biketrails haben eine Länge von 400 Kilometern. Besuchen sollte man zudem die etwas abseits gelegene Alpschaukäserei Morteratsch, keine 15 Geh-Minuten vom Campingplatz entfernt. Ein zünftiges Frühstück dort in der freien Natur ist der beste Einstieg in den Tag. Das Käseangebot ist sensationell!
Ein Ausflug auf den Oberengadiner Hausberg Muottas Muragl ist fast schon Pflicht. Und wer schon mal dort war, wird wieder hinauffahren. Eines der schönsten Panoramen im ganzen Engadin zeigt sich von der 2.450 Meter hoch gelegenen Bergstation der Zahnradbahn, die bereits seit 1907 verkehrt. Der freie Ausblick von dieser alpinen Sonnenterrasse geht auf die Orte Pontresina und Celerina im Vordergrund, dahinter auf St. Moritz und das breite Tal mit St. Moritzersee, Champferer-, Silvaplaner- und Silsersee. Die Aussicht ist unbeschreiblich, folglich wird sie hier auch nicht beschrieben. Festgehalten sei: Einen besseren und eindrucksvolleren Blick aufs Oberengadin wird man so schnell nicht finden. Der Clou: Hier oben thront in schwindelnder Höhe ein Romantik-Hotel mit 16 Zimmern samt gutem Restaurant.
Häuser mit Sgrafitti-Bemalungen
In Pontresina geht es ruhiger zu. Vor hundert Jahren wurde der Ort in einem Atemzug mit Grindelwald, Davos und St. Moritz genannt, heute ist der touristische Ruf etwas verblasst. Dennoch gibt es hier hinter den teils prächtigen Hotelbauten noch zahlreiche Engadiner Häuser mit den typischen Sgrafitti-Bemalungen. Das Hotel Kronenhof gilt als originellstes Grand Hotel der Schweiz, vor allem weil es in seinen verschiedenen Trakten von der Bauernstube bis zur Moderne die Stilrichtungen eines ganzen Jahrhunderts vereint. Für Naturfreunde bietet sich das Val Roseg an: Ein Wanderweg und im Winter eine Loipe führen von der Ortmitte aus in das wildromantische, autofreie Tal.
Es gibt sie, die Ruhepole: etwa das stille Engadiner Musterdörfchen Sils, das die Bau- und Verkehrssünden seiner Nachbarn vermieden hat. Dass hier Friedrich Nietzsche von 1881 bis 1888 zahlreiche Sommer verbrachte und die Ruhe für wichtige Passagen seiner philosophischen Werke fand, lässt sich bis heute nachvollziehen. Nicht nur für Philosophen gedacht ist die Ausstellung im Nietzsche-Haus, in dem der große Denker damals wohnte. Nietzsches Spuren lassen sich auch bei Spaziergängen auf die schmale Halbinsel Chaste im Silsersee und durch das romantische Fextal verfolgen.
Noch ein besonderer Tipp für Bahnfreunde: Mit der Rhätischen Bahn geht es von Chur aus die mehr als einhundert Jahre alte Unesco-Weltkulturerbe-Strecke über Albula und Bernina hinauf ins Oberengadin, durch wilde Natur, über 55 Brücken, durch 39 Tunnel, vorbei an schroffen Klüften und majestätischen Gipfeln. Die Fahrt mit dem Panoramawagen kostet fünf Franken extra – eine empfohlene Investition, man bekommt viel zu sehen für sein Geld.
Stippvisite beim Festival da Jazz
Als Musikbegeisterte war natürlich eine kurze Stippvisite beim Festival da Jazz in St. Moritz Pflicht. Zehn Jahre gibt es das Jazzevent schon und im Jubiläumsjahr 2017 war das Programm wieder mit Stars gespickt. Top-Musiker spielten im legendären Dracula Club oder gaben Round-Midnight-Konzerte in der Sunny Bar im Kulm Hotel St. Moritz darunter Paolo Conte, Herbie Hancock, Michel Legrand, Nigel Kennedy, Chick Corea, Lee Ritenour, The Manhattan Transfer, Fazil Say und Jamie Cullum – er spielte ein viel bejubeltes Gratiskonzert auf Muottas Muragl.
Das Team des Festival da Jazz um Christian Jott Jenny konnte jedenfalls mit dem zehnjährigen Jubiläum und dessen Ausklang rundum zufrieden sein.
Header-Foto: Nirzar Pangarkar / www.unsplash.com
Weitere Fotos: Camping Silvaplana / Messe Düsseldorf