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Keith Jarrett total: Solo-Konzerte aus den 90er Jahren
Keith Jarrett total: Solo-Konzerte aus den 90er Jahren
Die Liste seiner veröffentlichten Platten und CDs ist lang. Dutzende Alben hat der Jazzpianist Keith Jarrett im Laufe seiner langen Karriere eingespielt. Legendär sind seine Solo-Alben, wobei den meisten von uns das vielgerühmte „Köln-Konzert“ (1975) sofort in den Sinn kommt. Aber auch die Solo-Konzerte in „Bremen/Lausanne“, in Bregenz und München, in Paris, in Wien und nicht zuletzt in der Mailänder Scala sind herausragende musikalische Perlen improvisierter Klavierkunst.
Kürzlich ist eine Box mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen Jarretts aus den 1990er Jahren erschienen: vier CDs mit Aufnahmen aus dem Oktober 1996, allesamt entstanden bei einer Serie von Solo-Konzerten in Italien, genauer gesagt in Modena, Ferrara, Turin und Genua mit dem Titel „A Multitude of Angels“. Die vier Alben bieten Keith Jarrett pur und total. Die abendfüllenden Konzerte zeigen den großen Improvisator auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Es sind ohne Übertreibung Glanzlichter. Musik, die an Grenzen geht: ein Ausloten von Möglichkeiten des Spontanen. Und gerade das machte die Solo-Konzerte Keith Jarretts stets so spannend: das Gleiten von einer musikalischen Welt in andere, die dieser Musiker kennt; ein Musiker, der Bach, Bartók, Händel, Mozart, Pärt, Schostakowitsch und anderes mehr ebenfalls im Repertoire hat (oder zumindest hatte). Stets ist es eine Reise mit unvorhersehbarem Verlauf und einem Ziel, von dem man hofft, dass es nicht allzu schnell erreicht wird. Hinzu kommt Jarretts Angewohnheit, beim Spielen mitzusummen, zu quengeln, zu knurren.
In Italien präsentiert er sich als der Ungestüme, der Bluesige, der Aufbegehrende, der Soulige, der Meditative. Aber er zeigt sich auch von der beseelten, ungemein lyrischen Seite. Als Zugabe gibt es zum Beispiel in Genua „Over the Rainbow“, den wunderschönen Song von Harold Arlen und in Modena eine zärtliche Version von „Danny Boy“.
Die Konzertabende in Italien entstanden bevor Jarrett unter chronischem Erschöpfungssyndrom litt. Das „chronic fatique syndrome“ hat ihn ab Herbst 1996 rund zwei Jahre lang paralysiert. Das durch eine bakterielle Infektion ausgelöste Leiden, beraubte ihn so gründlich jeder Energie. An Klavierspielen war nicht zu denken. Inzwischen ist er längst wieder in der Spur, gibt Solo-Konzerte von monumentalem Gewicht, die sich zu Hochämtern der freien Ad-hoc-Improvisation zwischen minimalistischen Patterns, wuchtigem Groove, freier Atonalität und romantischer Melancholie auswachsen.
Keith Jarrett wurde am 8. Mai 1945 in Allentown, Pennsylvania geboren, ab 3 Klavierunterricht, galt bald als Wunderkind, spielte mit 17 ein erstes eigenes Klavierkonzert, ging er mit 18 nach New York, schlug sich als Barmusiker durch, bevor er am Boston College of Music ein Jahr lang studierte, für ihn verlorene Zeit, denn das, was er dort lernen sollte, konnte er alles schon. Ab 1963 spielte er dann bei Chet Baker, Lee Konitz, Art Blakey und schließlich Charles Lloyd. 68 gründete er mit Paul Motion und Charlie Haden ein erstes Trio. Der Durchbruch kam, als ihn Miles Davis in seine Formation holte. Allerdings hatte er die Keyboards bald über, wollte den reinen Klavierklang wiedergewinnen und fing an, Solokonzerte zu geben.
Nach dem Anhören dieser 4 CDs mit knapp 300 Minuten Keith Jarrett steht fest: Das ist wunderbare, herzerwärmende Musik von großer Tiefe, die dem Hörer überwältigende Glücksgefühle beschert. Aufgenommen übrigens direkt mit dem Sonosax-DAT-Recorder und zwei Brüel-&-Kjær-Mikros. Fantastisch!
Keith Jarrett: „A Multitude of Angels“ (4 CD-Box) ist auf dem ECM-Label erschienen.