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Phela, Poisel, Sanko, Gadd: Hammerstart ins 24. Aalener Jazzfest
Phela, Poisel, Sanko, Gadd: Hammerstart ins 24. Aalener Jazzfest
So viel Jazz war noch nie in Aalen: In seiner 24. Ausgabe geht das Aalener Jazzfest in die Verlängerung. Wo normalerweise von Dienstag bis Sonntag gefeiert wird, gab es 2015 ein ganzes Warm-Up-Wochenende oben drauf. Und die Jazzfestmacher vom Verein kunterbunt ließen es gleich richtig krachen.
Phela und Philipp Poisel in der ausverkauften Stadthalle, Myles Sanko und die Steve Gadd Band im Alten Postamt am Hauptbahnhof – dieser Auftakt hatte Klasse. Der Optimismus, den Festivalleiter Ingo Hug schon bei der Programmvorstellung im Juli an den Tag legte, sollte belohnt werden. Damals orakelte er noch, dass er sich gut vorstellen könne, dass die Stadthalle bereits vor dem Festival ausverkauft sein wird. Ein paar vereinsamte Resttickets gab es zwar noch an der Abendkasse, doch bis Phela und später auch Philipp Poisel die Stadthallenbühne betraten war es pickepacke voll im Saal – so voll, dass die emsigen Helfer des Vereins kunterbunt zwischen beiden Gigs kostenlos Wasserflaschen ins Gedränge reichten.
Um die 2.000 Besucher waren es, die vornehmlich wegen Philipp Poisel nach Aalen gekommen waren – hatte er sich doch ziemlich rar gemacht in den vergangenen Monaten. Es sei gar nicht so leicht gewesen, das Bühnenhemd wieder zuzuknöpfen, bekannte er denn auch reumütig. Dereinst bei der Aufnahmeprüfung fürs Musikstudium gescheitert, zählt Poisel heute zu den besten Singer-Songwritern, die Deutschland zu bieten hat. Was er dabei bis heute nicht sucht, ist das Rampenlicht. So zog er sich auch in Aalen ins Dunkel der eingenebelten Bühne zurück, ließ sich von hinten anstrahlen. Wie ein scheues Reh im Scheinwerferlicht. Seine Stimme, seine Lieder sollten für ihn sprechen. Das Nuscheln hat er zur Kunstform erkoren. Tonal bewegt er sich in eigenen Sphären: ein bisschen rau, ein bisschen Grönemeyer, sehr melancholisch – und schlichtweg einzigartig. Ein Bösendorfer-Flügel, Streicher, Gitarre, Bass und Schlagzeug umgarnen ihn. Poisel singt von Liebe und Liebeskummer, vom Leben. Man glaubt ihm bei jeder Silbe, dass er sie genauso meint, wie er sie singt – und dass er jede auch noch so traurige Situation, die er in seinen Liedern beschreibt, ganz genau so selbst schon erlebt hat. Poesie fürs Herz. Und die Seele. Zwischendurch auch gerne unplugged – wie beispielsweise bei „Froh, dabei zu sein“. Textsicher stieg das Publikum immer wieder mit ein – ob bei „Wie soll ein Mensch das ertragen“ oder „Wolke 7“. Gänzlich außer der Reihe präsentierten Poisel und Florian Ostertag alias DJ Flo eine ordentlich wummernde Techno-Version von „Als gäb’s kein Morgen mehr“. Die Fans waren begeistert und verabschiedeten Poisel am Ende erst nach unzähligen Zugaben.
Eines wurde jedoch klar: Poisel ist Poesie. Und er verkörpert den Herzschmerz wie derzeit kaum ein anderer Sänger.
Eine andere Sängerin hingegen schlägt in dieselbe Kerbe: Poesie und Herzschmerz sind nämlich auch das Markenzeichen von Newcomerin Phela. Begleitet von Piano, Cello, Percussion und ihrer Violine legte sie den Grundstein für das Poisel-Konzert. Erst vor wenigen Wochen erschien ihr Debütalbum „Seite 24“. Zuletzt war sie on tour mit Andreas Bourani. Auch das Aalener Publikum verfiel ihrer klaren Stimme binnen kürzester Zeit, hing ihr an den Lippen und verfolgte schnell jede der so wundervoll verträumten Songzeilen mit einer Sehnsucht, die der aus Phelas Texten sehr nahe kam.
Titel wie „Wieder alleine“, „Leerlauf“ oder „Alles auf Anfang“ sprechen für sich. Das letzte Lied, das sie zum Besten gab, war ein Schmankerl, das sich nicht auf ihrem Album wiederfindet. „Es ist der erste Song, den ich geschrieben habe“, erklärte die Künstlerin. „Zwischen uns“ heißt die Nummer. Und spätestens danach war jedem vollkommen klar, dass dieser jungen Stimme noch eine große Zukunft bevorsteht.
Nach Phela und Philipp Poisel ging es – etwas verspätet – im Alten Postamt weiter mit Myles Sanko und britischem Soul at its best. Cool. Smart. Modern. „Forever Dreaming“ heißt Sankos aktuelle Platte. Melodischer Soul-Jazz und Acid Jazz vereinen sich hier mit tanzbarem Feel-Good-Sound. In Aalen bildeten sie die ideale Mischung um den Auftaktabend des 24. Jazzfests ausklingen zu lassen.
Schon am Sonntag ging es an Ort und Stelle weiter mit hohem Besuch: „Er ist einer der besten Schlagzeuger der Welt“, kündigte Ingo Hug den Star des zweiten Festivaltages an. Drummer-Legende Steve Gadd kam mit Band. Und er blieb haften. 70 Lenze zählt er inzwischen. Von Müdigkeit jedoch keine Spur. Die Liste der Musikerkollegen, mit denen er bereits zusammengearbeitet hat, liest sich wie ein „Who‘s who“ der Musikgeschichte der letzten paar Dekaden. In Aalen wurde er begleitet von Larry Goldings an der Orgel, Bassist Jimmy Johnson, Michael Landau an der Gitarre und Walt Fowler an Flügelhorn und Trompete. Jazz und Blues, Rock und Fusion standen auf dem Programm. Easy, crazy, remarkable.
„Jeder Schlagzeuger möchte wie Steve Gadd spielen, denn er spielt perfekt“, sagte Chick Corea einmal. Aalen hat jetzt erlebt, warum.
There we go: Das „AJF 2015“ geht weiter!
Bis zum 15. November dauert das Aalener Jazzfest noch an. Weiter geht es am Dienstag mit „Mr. Bassman“ Marcus Miller. Der Mittwoch gehört Johanna Borchert und der Mike Stern Band. Am Donnerstag freut sich Dominic Miller auf das Jazzfest-Publikum. Am Freitag folgt ihm eine der besten Jazzstimmen überhaupt nach: Cassandra Wilson. Kult-Charakter weit über die Grenzen der Stadt hinaus genießen die Abende im Hotel bei den Limes-Thermen. Freitag stürmen hier Raul Midón, Cosmo Klein & The Phunkguerilla, Incognito, Hans Nieswandt, Avery Sunshine, Marialy Pacheco & Rhani Krija sowie die festivaleigene In The House Band die Bühnen. Samstag sind Pimpy Panda, Ed Motta, Kovacs, Nicole Bernegger, Timo Lassy, Miu und erneut Hans Nieswandt, Raul Midón und die In The House Band am Start.
Zum Festivalabschluss geht es am Sonntag auf die Bretter, die die Welt bedeuten: Im Theater der Stadt Aalen spielen Jonas Hellborg, Pee Wee Ellis, das Peter Fessler Quartett und Electro Deluxe. Den Stempel „Deluxe“ hat sich definitiv auch das Programm verdient, das Ingo Hug im Vorjahr des Jubiläums-Jazzfests zusammengestellt hat. Die nächsten Tage haben es in sich – und das Aalener Jazzfest ist wieder einmal jede (An-) Reise wert.