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„Inspirationsmomente sind kostbar“
„Inspirationsmomente sind kostbar“
Andreas Hertel ist einer der umtriebigsten Jazzer, die ich kenne. Und ich kenne ihn schon lange. Früher war ich sein Schüler am Jazzpiano, heute berichte ich über Musik. Er ist dem Spielen, Komponieren und Arrangieren treu geblieben.
Es ist kalt an diesem Wintermorgen – und wir treffen uns in einer Seitenstraße für das Fotoshooting.
„Soll ich die Jacke ausziehen?“ fragt er, während er sich die Brille zurechtrückt. Die Bilder sind schnell im Kasten. „Noch ein paar Fotos ohne Brille?“ – „Kein Problem!“. Immer wieder bin ich beeindruckt von der unkomplizierten, offenen Art, mit der Andreas Hertel der Welt, der Musik und seinen Fans und Freunden begegnet. Bei einer Tasse frisch aufgebrühtem Minztee kommen wir ins Gespräch. Im Hintergrund dudelt ein Chillout-Webradio – und wir sprechen über Jazz auf hohem Niveau, neue Alben und Johann Sebastian Bach – in seiner Rolle als erster Jazzer. Eine Stunde haben wir Zeit, danach ruft ein Konzert in Frankfurt.
FDie Groove Jazz Fanatics, Tea For Three, das Andreas Hertel Quintett – dazu noch zahlreiche Konzerte, Workshops und Bücher zum Klavierlernen. Und gleich geht es schon wieder zu einem Auftritt… Man könnte fast meinen, Dein Tag hat 25 Stunden. Gibst Du neben Deinen Jazzpiano-Workshops bald Nachhilfe in Sachen Zeitmanagement?
AHDas frage ich mich ehrlich gesagt auch manchmal (lacht). Eine Sache, die mir persönlich sehr viel bedeutet, ist mir klare Ruhepunkte zu schaffen. Zum Beispiel in Form von Meditation. Das mache ich schon sehr lange – und daraus ziehe ich auch die Kraft, die ich für das Musikmachen brauche. Natürlich sind mir neben der Jazzkarriere auch noch andere Dinge wichtig, zum Beispiel meine Familie. Dadurch, dass ich mich nicht nur auf die Musik beschränke, fühlt sich mein Leben im Moment sehr rund – und vor allem: sehr erfüllt – an!
FWo nimmst Du die Ideen für Deine neuen Songs her? Oder anders gefragt: Wie schaffst Du es, ständig auf neue Ideen zu kommen?
AHAuch das frage ich mich manchmal selber! Ideen für neue Stücke entstehen meistens beim Spielen, zum Beispiel wenn ich am Klavier sitze und einfach drauflos improvisiere. Da sind sehr oft gute Ideen dabei. Und manchmal gehe ich diesen dann auch direkt nach. Solche Inspirationsmomente sind sehr kostbar, alleine schon, weil man sie nicht beliebig steuern oder reproduzieren kann. Ich kann natürlich viel zu Papier bringen und eine Komposition logisch konstruieren. Aber damit ein Stück wirklich gut ist, muss es irgendein Geheimnis oder einen besonderen Ausdruck haben. Das kann aus einem emotionalen Impuls genauso kommen, wie aus einer bestimmten Stimmung oder aus einem musikalischen Anstoß. Manchmal schreibe ich auch nur etwas als Skizze auf, ich habe da einen ganzen Stapel von alten Zetteln mit Noten. Und manchmal krame ich die Blätter heraus und mache später etwas daraus.
FSprechen wir doch mal über Deine aktuellen Projekte. An was arbeitest Du gerade? Und was wird das bevorstehende Jahr 2015 bringen?
AHAnfang 2015 erscheint mein erstes Solo Piano Album. Das ist für mich etwas ganz Besonderes. Die CD trägt den Titel „Only Trust Your Heart“ und es sind ausschließlich Balladen darauf zu hören. Es war schon immer mein Traum, eine CD nur mit ruhigen Stücken zu machen, weil ich wahnsinnig gerne Balladen spiele und ja auch eher ein ruhiger Typ bin (schmunzelt). Ich glaube, dass eines meiner größeren Talente als Musiker darin liegt, dass ich Menschen mit ausdrucksstarken und ruhigen Stücken berühren kann, indem ich Atmosphäre und Tiefgang schaffe. Und mich macht es unheimlich glücklich, wenn mir das gelingt und ich ein positives Feedback vom Publikum zurück bekomme. Mir ging es darum, auf „Only Trust Your Heart“ eine Mischung aus Standards und eigenen Kompositionen zusammenzubringen – und einfach schöne Musik zu spielen. Ich möchte mit meiner Musik Menschen erreichen, die sich sonst eher weniger mit Jazz beschäftigen und vielleicht auch keine Jazz-Erfahrung haben, die aber gerne Balladen hören.
FNeben Deinem Solo-Projekt steht auch ein neues Album in Trio-Besetzung an – mit Gastauftritten von „Jazz-Superstars“ wie Tony Lakatos am Saxophon oder Dusko Goykovich an der Trompete. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
AHDie Zusammenarbeit fußt eigentlich auf der Idee, ein Album mit Lindy Huppertsberg am Bass und Jens Biehl am Schlagzeug aufzunehmen. Beide kenne ich schon lange aus der Jazz-Szene und hatte auch schon einige Male die Gelegenheit, mit ihnen zusammen Konzerte zu spielen. Daraus reifte der Wunsch, mit beiden Künstlern ein festes Trio zu bilden. Wir haben eine große musikalische Schnittmenge! Und: Es macht einfach unheimlich viel Spaß mit den beiden. Nun, da wir das Trio gegründet haben, war schnell klar, dass wir auch gemeinsam etwas aufnehmen wollen. Nach einem Konzert kam ich mit einem der Zuschauer, einem alten Jazz-Kenner, ins Gespräch und er erklärte sich bereit, als Mäzen ein Album in Trio-Formation zu finanzieren. So kam quasi eins zum anderen. Später ergab sich dann die Möglichkeit, zwei weitere großartige Gäste ins Studio mitzunehmen. Tony und Dusko sind beide lebende Jazz-Legenden – und für mich ist es ein großes und spannendes Abenteuer, in dieser Formation eine CD aufzunehmen. Mit Tony habe ich schon vereinzelt spielen dürfen, mit Dusko leider noch nie. Aber oftmals entstehen ja gerade aus spontanen Begegnungen interessante Dinge, die man nicht sieht oder wahrnimmt, wenn man schon sehr lange zusammenarbeitet. Eins steht fest: Wenn die CD fertig ist, werden wir eine Release-Tour durch verschiedene Clubs in Deutschland und im europäischen Ausland planen. Für mich persönlich ist es ein toller, nächster Schritt in meiner Jazzkarriere!
FLetzte Frage: Wenn Du auf das aktuelle Jahr zurückblickst – was ist für Dich Dein persönliches Highlight 2014?
AHNatürlich blicke ich vor allem auf die vielen schönen Konzerte zurück, die ich 2014 habe spielen dürfen – zum Beispiel die neu gestartete Konzertreihe „Jazz History“ in der Mauritius-Mediathek in Wiesbaden, in der wir uns verschiedenen Jazz-Größen und Stilrichtungen widmen. Ich kann schon sagen, dass diese Reihe auch im kommenden Jahr fortgesetzt wird, worüber ich mich sehr freue. Ein ganz spezieller Moment war mein Besuch in Leipzig. Ich hatte dieses Jahr die Gelegenheit, zwei meiner Schülerbücher auf der dortigen Buchmesse vorzustellen und habe bei dieser Reise das Grab von Bach in der Thomaskirche besucht. Das war sehr bewegend, da ich als Klavierschüler mit klassischer Musik angefangen habe. Und gerade für mich – viele sagen ja völlig zurecht „Bach war der erste Jazzer“ – war Bach eine der Figuren, die für die Entwicklung der Musik absolut prägend waren.
Lieber Andreas – ganz herzlichen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg!